Schuld und Selbsthass

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mammutkeks Avatar

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... sind die Gefühle, die der alte Mr. Miller seiner Zufallsbekanntschaft, dem titelgebenden Tristan Sadler, zuschreibt - und zwar allein nach einer kurzen Betrachtung des jungen Mannes in einem dunklen Pub in Norwich. Warum Sadler genau nach Norwich fährt, nur einige Monate nach Ende des 1. Weltkriegs, wird in der Leseprobe noch nicht deutlich.  Aus Klappentext und Titel weiß man jedoch, dass er ein "spätes Geständnis" ablegen möchte, und dies bei der Schwester seines toten Kameraden Will Bancroft.

Bis es zu diesem Geständnis kommen kann, wird jedoch zunächst die Bahnfahrt beschrieben - eine Fahrt, auf der Sadler einer vermeintlichen Mörderin gegenüber sitzt. Und doch ist diese ältere Dame mit dem Fuchspelz um den Hals nur eine Autorin, die gelinde gesagt größere Vorbehalte gegenüber dem Verlag hegt, für den Sadler inzwischen arbeitet.

Auch muss Tristan Sadler zunächst um sein Zimmer bangen, hat es doch einen - fast unbeschreiblichen - Zwischenfall zwischen einem Gast und seiner Begleitung gegeben. Für die Zeit unfassbar war es keine junge Dame, sondern ein Mann, der den Gast ausrauben wollte.

Boyne verführt den Leser mit seiner ausführlichen Beschreibung von Nebensächlichkeiten und Stimmungen - ohne dabei zu viel zu verraten - in eine unbekannte Welt, so kurz nach Ende des 1. Weltkriegs, der auch in England seine Auswirkungen auf die Bevölkerung hatte.

Was für mich faszinierend ist, ohne das Buch endgültig bewerten zu wollen und zu können, ist die Wandelbarkeit in den Geschichten von John Boyne. Nach dem "Jungen im gestreiften Pyjama", der mit wenigen Worten so viel erzählt, war das "Haus zur besonderen Verwendung" sprachgewaltiger und thematisch ganz anders. "Das späte Geständnis des Tristan Sadler" ist wieder kürzer, insbesondere in den Dialogen jedoch auch sehr gewandt in der Verwendung einer interessanten und spannungserzeugenden Sprache.