Das Leben mit der Schuld

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darcy Avatar

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John Boyne erzählt eine tragische Geschichte. Sie ist deprimierend und voller Schuld. Aber er erzählt sie zart und mit leichter Hand. Das ist ein Kontrast, der mich verwundert hat, aber andererseits hat es mir auch gefallen.

Das Buch wird aus Tristans Sicht erzählt. Zu Beginn lernen wir ihn kennen, wie er unterwegs ist zu einer Reise nach Norwich, um Briefe seines im Krieg gefallenen Freundes Will an dessen Schwester zurückzugeben. Man merkt gleich, das Tristan schwer gezeichnet ist vom Krieg, trotzdem ist der Beginn voller Nichtigkeiten, die Begegnung mit einer Mitreisenden, ein kleiner Vorfall in seinem Hotel oder eine Unterhaltung im Pub. Einfache Beschreibungen des Alltags, und doch sind sie unterschwellig durchdrungen und dadurch verdorben vom Nachhall des Krieges. Nebenbei erfahren wir auch mehr aus Tristans Vergangenheit und wie es dazu kam, das er sich bereits mit 17 als Soldat meldete und mit seinem Alter etwas schummelte. Als er Will Schwester trifft, gehen wir mit ihm auf die Reise in seine Kriegserlebnisse. Und so wie er Marian erst nach und nach erzählt, was geschah, so erfahren auch wir erst ganz zum Schluß das ganze Ausmaß.

Das Tristan homosexuell ist kann man schon sehr rasch aus den Zeilen herauslesen. Vor 100 Jahren war das noch eine undenkbare Sache, ausleben konnten das nur die wenigstens. Tristan ist ganz Kind seiner Zeit, er denkt selber, das das, was da in seinem Kopf ist, nicht richtig ist. Trotzdem sind die Neigungen da. Letztendlich führen diese ungelebten Gefühle zu seinem tragischen Handeln. Zu einem in gewisser Weise ungelebten Leben.

Während im deutschen Titel schon Tristan als Hauptperson herausgehoben wird, weisst der Originaltitel "The Absolutist" auf eine andere wichtige Person des Buches hin: Will. Während des Krieges lassen ihn die Dinge, die er dort erlebt, zum absoluten Verweigerer werden. Denn neben Tristan tragischem persönlichen Schicksal geht es in diesem Buch auch um den Kriege und wie er die Menschen entmenschlicht. Wie bleibt man menschlich unter diesen Umständen? Der rote Faden der Geschichte ist, ob man die Kraft hat, zu seiner persönlichen Überzeugung, seinem Wesen, mag es auch noch so gegen den Zeitgeschmack sein, steht oder ob man lieber mit dem Strom schwimmt. Ist es Stärke, dagegen zu bestehen oder Schwäche? Ist man mutig, dafür in den Tod zu gehen oder ist man mutiger, damit weiterzuleben?. Die Antwort auf diese Frage ist für jeden eine andere.

Tristan ist so etwas wie ein Antiheld. In den engen moralischen Grenzen seiner Zeit fällt es ihm schwer, sich zu definieren. Seine Sexualität ist seine Triebfeder. Als Soldat funktioniert er recht gut, er stellt sich nicht die gleichen Fragen, die Will sich anfängt zu stellen. Ihn treibt sein innerer Konflikt zu seinem Handeln und er erkennt dabei nicht, das Will ebenfalls an einem inneren Konflikt zerbricht. Bei Tristan herrscht das Gefühl vor der Vernunft und das unterscheidet die beiden so grundlegend, das sie noch nicht einmal fähig sind, auch nur annähernd zu verstehen, was den anderen bewegt.

Dies ist mein erstes Buch von John Boyne. Seine Art zu schreiben hat mir sehr gefallen. Er ist sehr zart in seinen Beschreibungen und dennoch kann man die Wucht seiner Aussagen dahinter erkennen und fühlen. Zugleich gelingt es ihm fast nebenbei, das Gefühl für diese Zeit, als Krieg noch heroisiert wurde und die Definition, was sich für einen Mann gehört und wie er zu sein hat, sehr eng definiert waren. Mich hat "Das späte Geständnis des Tristan Sadler" sehr berührt. Die Tragik von Tristans und Wills Schicksal wird in mir noch eine Weile nachhallen.