"Das späte Geständnis des Tristan Sadler" von John Boyne

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mojoh Avatar

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England  1919, kurz nach Ende des Großen Krieges, der als Erster Weltkrieg in die Geschichtsbücher einging, fährt der junge Tristan Sadler nach Norwich um sich dort mit Marian, der Schwester seines in Frankreich gefallenen Freundes Will Bancroft zu treffen. Im Gepäck hat Tristan die Briefe, die sie ihrem Bruder ins Feld geschickt hat, die er ihr zurückgeben möchte.

Aber das ist längst nicht alles, was Tristan Sadler, aus dessen Perspektive der Roman in der Ich-Form geschrieben ist, mit sich trägt. Traumatische Kriegserlebnisse, existenzielle Identitätsfragen, große Gedanken, Vorwürfe und Fragen zu Themen wie Schuld, Tapferkeit oder Feigheit, Überzeugungen oder Befehlsgehorsam, Liebe und Hass, Normalität und Konformität oder Anders-Sein ziehen sich sowohl durch Tristans und Wills Leben als auch durch das gesamte Buch.

Während der ganzen knapp 360seitigen Erzählung schafft es der Autor John Boyne immer wieder neue kleine und große Geheimnisse aufzuwerfen, auf dessen Auflösung der Leser hinfiebert. Geschickt mit Erzählzeiten und –formen spielend gelingt es dem Autor ein Buch zu schreiben, bei dem jeder Satz wichtig ist ohne den Leser durch eine geschwollene Sprache zu überfordern und im Lesefluss zu unterbrechen. Gerade die Einfachheit der Worte die Gefühle und Schrecken des Krieges beschreiben unterstreicht die Bedeutung des Inhaltes. Die Kapitel spielen mal 1919 in Norwich beim Zusammentreffen von Tristan und Marian und mal 1916 zunächst im Ausbildungslager Aldershot und später in den Schützengräben Frankreichs. Boyne geht immer ins Detail, aber mit genügend Freiraum für Phantasie was die sachlichen Schilderungen angeht. Den faktischen Auslöser beispielsweise für die Schrecken des Krieges skizziert er kurz, aber was dieser mit den Protagonisten macht beschreibt er sehr intensiv und glaubwürdig.
Außerdem sind alle seine Charaktere bis hin zum kleinsten Nebencharakter glaubhaft und toll entweder intensiv beschrieben oder kurz skizziert, aber immer präsent.
Die gewählte Erzählform aus der Ich-Perspektive sorgt dafür, dass man immer dicht am Geschehen und noch wichtiger an den Gefühlen der für mich zentralen Person des Tristan Sadlers dran ist. Will und Marian sind weitere Protagonisten, die aber in meinen Augen dazu dienen, alternative Wege zu denen Tristans zu gehen, um dem Leser andere Konsequenzen von anderen Entscheidungen zu verdeutlichen. Letztendlich ist die zentrale Frage des Buches nicht, welcher ist der richtige Weg zu gehen sondern gibt es überhaupt einen richtigen Weg ? Oder muss man im Leben nicht zu oft Kompromisse machen, die immer einen schalen Beigeschmack haben ?

Es war mein erstes Buch von John Boyne und wird mit Sicherheit nicht mein letztes gewesen sein. Er hat mich mit seinem Schreibstil und seiner Einfühlsamkeit überzeugt.

Zurück bleibt ein nachdenklicher und gefangener Leser.