Sehr berührend und einfühlsam...

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tintenhain Avatar

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Als ich den Buchdeckel zuklappte, saß ich einen Moment wie gelähmt, randvoll mit Gefühlen und Gedanken, kurz vorm Überlaufen. Eine Rezension konnte ich nicht sofort schreiben, die Geschichte musste erst einmal sacken, die Gedanken sortiert werden.

„Das späte Geständnis des Tristan Sadler“ beginnt mit einer Zugreise nach Norwich im Jahr 1919, wo er die Schwester seines gefallenen Kameraden Will besuchen möchte, um ihr ein Bündel Feldbriefe ihres Bruders zu übergeben. Sofort werden Erinnerungen wach, die Tristan gern für immer tief in seinem Inneren vergraben hätte.

In Rückblenden wird die Freundschaft von Tristan Sadler und Will Bancroft erzählt, von den Schrecken des ersten Weltkrieges und den Auswirkungen auf die jungen Männer, stets überschattet von der Gewissheit, dass Tristan noch mehr zu erzählen hat, dass da noch ein schreckliches Geheimnis auf den Leser wartet.

John Boyne schreibt wie immer flüssig und sprachgewandt. Er nimmt den Leser mit in die Schützengräben in Frankreich und lässt ihn in schwarz-grauen Bildern Wut, Ohnmacht, Kälte, Trostlosigkeit, Angst und Schrecken verspüren. Während die Begegnung mit Marian in der Vergangenheit geschrieben ist, so werden die Kapitel, die während des Krieges spielen, in der Gegenwart erzählt, so wie die Kriegserlebnisse für Tristan immer gegenwärtig bleiben werden, er muss den Rest seines Lebens mit ihnen verbringen. Schonungslos und authentisch berichtet Boyne über die Gräueltaten, die Unmenschlichkeit und den Kampf um jeden Meter Land, aber auch über Liebe und Freundschaft. Er stellt verschiedene Sichtweisen dar, ohne darüber zu urteilen, und überlässt es dem Leser, sich ein eigenes moralisches Bild zu machen. Die Handlungen der Charaktere sind zu jeder Zeit nachvollziehbar und die eingeschlagenen Lebenswege sehr konsequent.

Das Buch hat mich tief beeindruckt und ich hoffe sehr, noch Gelegenheit zu bekommen, mich in einem Lesekreis oder anderswo darüber austauschen zu können.