Ruhm und Ehre und das ewige Leben

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ismaela Avatar

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In ein paar Rezensionen und einem Radiobeitrag wurde „Das Volk der Bäume“ von Hanya Yanagihara als brilliant erzählt, aber etwas unklar in ihrer Intention beschrieben – und ich kann diesem Urteil mehr oder weniger zustimmen. Ich habe „Ein wenig Leben“ von ihr habe ich nicht gelesen, obwohl mir der Titel geläufig ist, deshalb war ich auf diese Geschichte hier sehr gespannt.

Darin geht es um einen Wissenschaftler, Norton Perina, der in jungen Jahren auf der Insel Ivu’ivu den „Träumern“ begegnet: eine Gruppe Menschen, die allem Anschein nach zwar altern, aber nicht sterben. Zudem wirken sie wie geistig zurückgeblieben, als würden sie, je älter sie werden, nach und nach alle menschlichen Eigenschaften verlieren. Deshalb wurden sie von ihrem Stamm verstoßen, der aber nach wie vor genau die Tradition, die einen Menschen zu einem „Träumer“ macht, weiter praktiziert: sie essen in einem zeitlich streng festgelegten Ritual vom Fleisch einer bestimmten Schildkrötenart, der Opa’ivu‘eke. Obwohl Norton gewarnt wird, die heiligen Tiere anzurühren, tötet er in einer Nacht- und Nebelaktion eine der Schildkröten, konserviert ihr Fleisch und verwendet es, zurück in den USA, für wissenschaftliche Tests. Deren Ergebnisse bringen ihm nicht nur den Nobelpreis für Medizin ein – er entdeckt das „Selene-Syndrom“, das Menschen nicht altern, aber dafür neurologisch abbauen lässt – sie leiten auch den Niedergang der Insel Ivu’ivu und dessen Stamm ein. Norton besucht die Insel nach seinen Entdeckungen noch einige Male und ist jedesmal erneut erschüttert, als er sieht, was Wissenschaftler, Kosmetikkonzerne, Missionare und andere Glücksritter, die in Scharen in die Insellandschaft eingefallen und diese letztendlich komplett zerstört haben, angerichtet haben. In einer Mischung aus Schuld und Verlangen fängt Perina an, die verwahrlosten Kinder der Inselbewohner zu adoptieren und mit nach Hause zu nehmen.

Die Geschichte, die Yanagihara hier erzählt, beginnt mit der Verurteilung von Perina wegen sexuellem Missbrauchs, und in der Haft beschließt er, auf Bitten seines engen Freundes Dr. Ronald Kubodera, seine Memoiren zu schreiben. Man merkt schon früh, wie kalt und gefühlsarm Perina ist, vor allem aus seinem Ekel gegenüber Frauen macht er keinen Hehl. Seine gesamte Weltanschauung ist eine Aneinanderreihung nüchterner Erkenntnisse, ob es nun um das systematische Töten von Labortiren geht, oder, später, um die systematische Zerstörung der Insel Ivu’ivu und ihrer Bewohner. Zwar ist Perina durchaus schockiert, aber er erkennt in keinem einzigen Vorgang irgendeine persönliche Schuld, im Gegenteil. Da er immer nur das Beste sowohl für die Wissenschaft, als auch für seine adoptierten Kinder wollte, ist er ehrlich erstaunt darüber, dass man ihm die Zerstörung von Ivu’ivu oder den sexuellen Missbrauch tatsächlich zum Vorwurf macht. Auch seine Art, über die Mitglieder des Inselstammes und der „Träumer“ zu sprechen, ist zutiefst menschenverachtend und rassistisch. Für ihn sind diese Menschen lediglich Forschungsmaterial.

Die dichte und intensive Art der Autorin zu erzählen hat mich sehr berührt. Vor allem zum Schluss hin, als der Niedergang des Ivu’Ivu Stammes und der „Träumer“ in ihrem Gefängnis im Forschungslabor beschrieben wurde. Diese Menschen, die, wie es unter anderem auch den Aborigines erging, alkoholabhängig wurden und verwahrlosten, weil ihnen ihre gesamte Lebensgrundlage entrissen wurde, war teilweise schwer zu ertragen. Im Kontrast dazu die kalte und emotionslose Figur des Norton Perina, den ich aber, trotz allem, nicht hassen konnte, da er selbst nicht in der Lage war, zu reflektieren, und tatsächlich der Meinung war, alles richtig gemacht zu haben. Die einzige Person, für die ich Abscheu empfand, war sein Freund Kubodera. Seine hündische Loyalität gegenüber einem Menschen wie Perina fand und finde ich abstoßend.
Insgesamt eine brillant erzählte Geschichte, über die man noch lange nachdenkt.