The Signature of All Things

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wortknaeuel Avatar

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Ich verstehe nicht, wie Verlage manch perfekten Buchtitel verschandeln können, um eine Käuferschaft anzusprechen, die beim Lesen doch nur enttäuscht sein wird. Anders kann ich mir nicht erklären, wie das „und der Liebe“ noch hinzu gedichtet wurde. Der Originaltitel „The Signature of All Things“ passt so viel besser zum Inhalt, der gar nicht so trivial ist, wie der deutsche Titel vermuten lässt.

Elizabeth Gilbert erzählt auf knapp 700 Seiten das Leben der außergewöhnlichen Alma Whittaker, die im 19. Jahrhundert das privilegierte Leben eines Einzelkindes genießt, dessen Neigungen und Talente – Wissbegier und Forscherdrang – stets gefördert werden und die so, ganz untypisch für Frauen ihrer Zeit, zu einer anerkannten (wenn auch unauffälligen) Naturforscherin auf dem Gebiet der Bryologie (Wissenschaft der Moose) werden kann.

Erfreulicherweise beginnt die Geschichte schon vor ihrer Geburt mit dem Werdegang ihres Vaters, eines englischen Arbeitersohnes, der mit Cleverness und Willensstärke um die ganze Welt reist und zu einem wohlhabenden Gutsbesitzers in Philadelphia wird. Seine Geschichte und die Kindheit von Alma werden wunderbar lebendig, spannend und farbenfroh erzählt. Mit dem Auftauchen der verwaisten Prudence, die von Almas Eltern adoptiert und mit ihrem verschlossenen Charakter zu einer mysteriösen Konkurrentin Almas wird, sowie der zauberhaften Retta, die den beiden Halbschwestern mit ihrer quirligen Art eine gute Freundin wird, sind eigentlich die Weichen gesetzt für einen typischen Frauen-Freundschafts-Liebes-Roman, zumal die heranwachsende Alma auch noch ihr Herz für einen jungen Mann entdeckt …

Weit gefehlt! Gerade an diesem Punkt erfährt die Handlung einen plötzlichen Bruch. Flugs werden Jahre übersprungen, die in anderen Romanen als die interessantesten im Leben einer Frau gelten. Es dauert lange, bis wir endlich mit Alma ihren Schutzbereich verlassen und die Welt erkunden – über Tahiti bis Amsterdam, immer auf der Suche nach Antworten auf Fragen, die Alma selbst nicht immer klar sind, und somit auf die Suche nach sich selbst.

Das Buch hat mich gleichermaßen enttäuscht wie auch positiv überrascht. Erstaunt war ich vom ersten Teil: so vielversprechend entwickelt sich die kleine neugierige Alma. Ein Highlight ist für mich die surreale Beschreibung der Gartenparty, bei der die Gäste ein Rollenspiel als Planetensystem darbieten, durch das Alma als leuchtender Komet mit brennender Fackel rennt, frei und unabhängig. Enttäuscht und gelangweilt war ich dann von der erwachsenen Alma, die sich als Grüblerin und einsame Forscherin erweist, gefangen in ihrem Mikroversum von Moosen und familiären Pflichten. Erleichtert war ich bei ihrem Aufbruch in die Welt. Die Beschreibung ihres Lebens im exotischen Tahiti, der eigenwilligen Menschen und befremdlichen Bräuche las ich mit Interesse und Vergnügen. Und wohl die gleiche Zufriedenheit wie Alma empfand ich beim Lesen des letzten Handlungsstrangs in Amsterdam, wo sie endlich Wurzeln schlägt.

Letzten Endes bin ich Elizabeth Gilbert doch noch dankbar für den „Bruch“, der statt eines Liebesromans die ganz untypische Lebensgeschichte einer intelligenten Frau geschaffen hat, die uns mit den großen Fragen und Strömungen ihrer Zeit konfrontiert: die revolutionäre Evolutionstheorie wird ganz nebenbei eingeflochten, aber auch Anklänge von Spiritualität und die ungeklärte Frage nach dem Wesen der menschlichen Seele. Leider verliert sich die Spannung nach einem starken Anfang in langatmigen Beschreibungen und den unnahbaren Charakteren.