Hier bin ich zu hause

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sissidack Avatar

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Sehr oft sind Romane, die von renommierten Kritikern hochgelobt wurden, für den Leser-Normalverbrauchern kein Reißer. Sicher ist dies dem unterschiedlichen Geschmack, dem unterschiedlichen Bildungsstand und dem Umstand, was erwarte ich von einem Lesestoff, geschuldet.
So will ich mit meinen Erwartungen an den Roman herangehen. Der Titel sagt, das Leben des Wes Trench ist zerstört. Zerstört wurde es durch den großen Ölkonzern, durch die lebensfeindliche Natur, durch die gesellschaftlichen Verhältnisse im einstigen Land der unbegrenzten Möglichkeiten USA, durch die familiären Verhältnisse, die ihn für sein Leben
prägen und die vielen, vielen Kleinigkeiten, die zum Leben gehören. Wes hat außer dem täglichen Einerlei in den Sümpfen noch nichts von der großen Welt gesehen. Mit seinem Vater fängt er Shrimps. Die Familie hat ihr Auskommen. Dann kommt der Hurrikan Katrina. Weil Wes´ Vater trotz Warnung sich und seine Familie aus Sturheit (einer seiner wesentlichen Charaktereigenschaften) nicht vorsorglich in Sicherheit bringt, fordert der Sturm das Leben von Wes` Mutter. Das gesamte Küstengebiet wird verwüstet. Viele Bewohner verlieren ihre Existenzgrundlage, geben alles auf und ziehen weg. Zurück bleiben halb zerstörte Häuser, die nach und nach von der Natur in ihre Wildheit integriert werden. Die Vegetation dringt vor, wuchert und wächst über menschliche Präsenz hinweg. Ebenfalls zurück bleiben alte Menschen, die fest mit ihrer Heimat verwachsen sind und einfach keine Kraft für einen Neuanfang mehr haben. Sie sind schrullig, eigensinnig, ja teilweise als bösartig zu bezeichnen. Es fehlen auch nicht die kleinen Kriminellen. In einer so urtümlichen, nicht überschaubaren Sumpfwelt gedeiht das Geschäft mit Marihuana. Reich wird damit niemand, aber man lebt besser als mit ehrlicher Arbeit. Dann, um allem das Tüpfelchen aufzusetzen, will der Ölkonzern flächendeckend Land aufkaufen, um so die durch ihn verursachten Schäden an der Umwelt in der Heimat von Wes Trench zu vertuschen. Verur- sacht durch Ölbohrungen und der Gewalt von Katrina liegen ganze Teile unter einem Ölteppich. Dabei werden alle Register von angeblich großzügiger Entschädigung bis Einschüchterung der Grundstückseigentümer gezogen. Ein kritisches Bild des Existenzkampfes der Anwohner und der Ausbeutung der Natur ist dargestellt.
Tom Cooper ist kritisch, offen und schonungslos in seinen Beschreibungen. Und doch - immer wieder zeichnet er anschaulich sowohl die gefährliche als auch die wilde Schönheit der Natur. So empfindet auch Wes Trench. Als Kind der Bayou sind ihm sowohl Vor- als auch Nachteile seiner Heimat bekannt. Er spielt mit dem Gedanken auch alles hinter sich zu lassen und anderswo neu anzufangen.
Mit fortschreitender Handlung zeichnet sich, durch den Autor feinsinnig vorbereitet und entwickelt, ab, dass Wes sein zu Hause, trotz aller Widrigkeiten liebt. Er nimmt alle Probleme in Kauf und bleibt was er ist, wo er ist und wie er ist. Ein Kind der Bayou, in den Sümpfen der Bayou und ein liebenswerter junger Mann mit dem Herzen genau an der richtigen Stelle. Er baut endlich sein eigenes Boot für den Shrimpsfang fertig. Wes söhnt sich mit seinem schweigsamen und stets unzufriedenen Vater aus. Zum Stapellauf seines Bootes - es muss eine größere Strecke von der Baustelle auf dem Hofgelände seines Elternhauses bis zum Wasser transportiert werden - zeigt sich, dass die Bewohner der Bayou, trotz aller Streitigkeiten auch eine Gemeinschaft sind. Nachbarn, Bekannte, Verwandte, Bekannte von Bekannten usw. helfen Wes sein neues Boot wortwörtlich auf den Schultern ans Wasser zu tragen und vom Stapel zu lassen. Ein schönes, hoffnungsvolles Ende eines erstklassigen Romans von einem Weltklasseautor.

Zum Abschluss eine Frage. Entweder habe ich es überlesen oder es wurde wirklich nicht erwähnt. Ist Tom Cooper je in der Gegend des Handlungsortes gewesen? Ich glaube, er muss es wohl! Wie sonst könnte er so fesselnd darüber schreiben.