Das Leben zweier Gezeichneter

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„Der Abstinent“ war mein erste Geschichte von Ian McGuire – erste und gleichzeitig letzte oder der Beginn einer langen Lesehistorie? Schauen wir zuerst mal, worum es geht:

Wir befinden uns im späten 19. Jh., der Kampf zwischen Briten und Iren tobt und nachdem ein Polizist ermordet wurde, hängen die Briten drei Unterstützer der irischen Unabhängigkeitskämpfer, der Fenians, zur Abschreckung bzw. noch mehr, um ihre (Über-)Macht zu demonstrieren. Ausgerechnet in diese Situation hinein wird James O’Connor von Dublin nach Manchester versetzt, nachdem er seine Frau verloren hat. Der inzwischen trockene Alkoholiker soll dank seiner irischen Wurzeln zum Frieden zwischen den Gruppen beitragen. Doch nach der Hinrichtung ihrer Landsleute sinnen die Fenians auf Rache … allen voran Stephen Doyle, irischstämmiger amerikanischer Kriegsveteran. Und so beginnt der ganz persönliche Kampf der beiden …


Bei Fords Zitat „Ein literarischer Noir“ zu „Der Abstinent“ musste ich erstmal auf das angegebene Genre schielen: Roman … ja, irgendwie war ich auf Krimi bzw. Thriller getriggert, das ist es aber nicht, sondern tatsächlich eine Geschichte, bei er es letztlich keine Gewinner gibt und insofern trifft „Noir“ es wohl gut. Es geht um einen Kampf, der seit Jahrhunderten schwelt und der durch den Brexit letzte Nahrung bekam. Insofern war die Erwartung an das Buch auch, Erklärungen zu finden. Es geht um Verrat, Gewalt, Rache, Schuld, Armut, den Kampf ums Leben, das Fehlen von Hoffnung, (falsch verstandene) Loyalität und vor allem das Leben zweier Männer bzw. ihr Verhältnis zueinander: Beide sind durch ihre bisherigen Erfahrungen schwer gezeichnet, der eine versucht diese Erfahrungen zunächst zu ertränken, der andere sie durch Kampf zu betäuben, in beiden Fällen geht es um Kontrollverlust. In der Schilderung dieses Konflikts liegt die eigentliche Stärke der Geschichte – und damit nicht da, wo ich sie mir erhofft hatte. Gelungen ist auch das Auflebenlassen der Atmosphäre damals: Man rümpft beim Lesen fast unweigerlich die Nase ob der einen oder anderen Schilderung, die teilweise doch recht drastisch ausfallen, was mit dem sonst eher ruhigen Erzählton kontrastiert. Apropos ruhiger Erzählton: Wer einen Krimi erwartet, wird enttäuscht sein, denn einen Spannungsbogen in dem Sinne gibt es nicht, vielmehr ist es eben wie bei Konflikten meist – er flammt auf, es scheint sich eine Lösung anzubahnen, man wird enttäuscht, der Konflikt flammt erneut auf. Insofern gibt die Geschichte das Geschehen exemplarisch vielleicht besser wieder als erwartet, hat aber Längen. Ebenso dürfte man sich mit dem Buch nicht zurechtfinden, wenn man es mag, sich mit den Personen zu identifizieren: Letztlich schildert alles in dem Buch Kampf, den mögen wir auch heute noch teils führen, aber lange nicht mehr in der existenziellen Form, wie es im 19. Jh. der Fall gewesen sein dürfte. Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: „Der Abstinent“ lässt mich etwas unzufrieden zurück – ich hatte mir mehr Hintergründe zum irisch-britischen Konflikt gewünscht und obgleich man manches aus der Gesichte ins Heute „übersetzen“ kann, hat das Buch nicht gehaltene Erwartungen geweckt. Wer es als Konflikt zweier Männer lesen will, wird zufrieden sein; in Summe gibt es solide 3 Sterne: Soll jeder selbst entscheiden, ob die Lektüre lohnen könnte.