Industriestadt und frühe Polizeiarbeit.

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
wandablue Avatar

Von

Kurzmeinung: Spezieller Stil. Muss man mögen.

1867 in Manchester. Ein Polizistenmord wird streng geahndet. Drei Männer der Unabhängigkeitsbewegung für Irland, Fenians genannt, werden dafür aufgeknüpft. Es ist klar, dass es zu Unruhen kommen wird. Und es ist auch klar, dass die Polizei in Manchester nicht von ihrem harten Kurs abweichen wird.

In dieser Situation agieren zwei Männer. Der eine, ein irischer Polizist, ist wegen seines Alkoholismus von Dublin nach Manchester versetzt. Er hat eine zweite Chance bekommen und will sich beweisen, aber das ist schwer in einer Atmosphäre, in der Ressentiments an der Tagesordung sind und die britischen Kollegen ihrem irischen Amtsbruder grundsätzlich misstrauen. O’Connor kennt zwar die Szene der Iren in Großbritannien aus Dubliner Verhältnissen und warnt davor, ein Exempel zu statuieren, das schaffe nur Märtyrer. Aber niemand auf seiner Dienststelle hört auf ihn. Es ist genau wie heute. Auf die Experten hört man nicht. Man lässt sich lieber von negativen Gefühlen und von Vorurteilen als von Fakten leiten.

Die bisher relativ harmlosen Fenians in Manchester heuern alsbald einen Killer an, der aus den Staaten kommt und der ein vergeltendes Attentat an einer prominenten Person des Manchester Stadtlebens ausführen soll.



Der Kommentar:
Die angelegte Szenerie könnte spannender nicht sein. Doch McGuire verweigert sich dem normalen Thrill! Nicht, dass er ihn nicht schreiben könnte, ich bin sicher, dass der Autor von "Nordwasser" einen Thriller, der einem das Blut in den Adern gefrieren läßt, mit links schreiben könnte.

Doch statt einen gewieften Killer auf der einen Seite und einen ausgebufften Bullen auf der anderen Seite hinzustellen, 12 Uhr Mittags, High Noon, sind seine Charaktere lauter gewöhnliche Menschen mit sozialem Schicksal am Hintern. Das ist gewagt. Das mag nicht jeder. Helden findet man nicht im vorliegenden Roman. Die meisten Leute glänzen durch Bildungsferne. Das spiegelt der „Der Abstinent“ auf jeder Seite wider. Man fragt sich, wie tumb manch einer handelt und was er für ein überhebliches Selbstbild von sich hat. Die tumben Toren spielen sich auf und wer Geheimhaltung geschworen hat, verspielt jedes Geheimnis im Suff.

Das Irland vergangener Tage ist eben immer düster. Arme Menschen in ärmlichen Verhältnissen. Keineswegs glorreiche Charaktere. Der „Bulle“ kämpft tapfer gegen seine Alkoholkrankheit an, aber er ist gebrochen von seiner Vergangenheit, seine Gefühlswelt ist taub und er hat keine Kraft, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Trotzdem ist er noch Ire genug, um sich von jedem noch so zarten Sproß Familie um den Finger wickeln und blenden zu lassen und irisch stur genug, um auch ungute und impulsive Entscheidungen zu treffen. Jedesmal, wenn man denkt, jetzt, jetzt dreht sich was, jetzt wird’s besser, geht O’Connor in die andere Richtung und trifft Entscheidungen, die ihm letztlich das Genick brechen. Das ist nicht erfreulich, nein, aber es gibt solche Menschen. Leider gibt es sogar viele Menschen, die so sind. Ich mag das. Es ist so realistisch.

Der Killer hat es leicht. Die Polizeiarbeit ist nicht sehr weit entwickelt und ihr Erfolg hängt von vielen Zufällen ab. Er ist das personifizierte Böse, das wird vor allem im späteren Verlauf des Romans klar und insoweit ist diese Figur nicht ganz rund. Schade.

Die Atmosphäre der Industriestadt Manchester ist großartig eingefangen.

Stilmässig hat sich Autor McGuire ganz auf den Dialog verlegt in diesem Roman, nur da und dort gibt es kurze erzählende Passagen, die das schreiberische Talent des Autors aufblitzen lassen, kurze Lichtblicke. In den Metaphern hat er sich ab und zu verhoben. Das ist wieder schade. Passt aber zum Milieu. Niemand hat Germanistik studiert. Oder Englische Literatur. Der Autor begibt sich auf die Ebene seiner Figuren. Das ist Kunst. Kunst liegt freilich im Auge des Betrachters. Vielleicht ist es auch keine Kunst. Oder schlechte Kunst. Das enscheidest du, lieber Leser.

Fazit. Kommt drauf an, was man will. Der Roman ist selber gebrochen. Genau wie „seine Handlanger“, also seine Figuren. Als Ganovenroman mit früher Polzeiarbeit und eingepaßt in den Rahmen des Irland-England-Konflikts, liegt ein atmosphärisch dichter Roman vor, der mit zwei Antagonisten, von denen einem keiner gefällt, mit der Verzweiflung und dem Schicksal benachteiligter Menschen vergangener Zeiten vortrefflich spielt. Plus ihrem Unvermögen.

Kategorie: Historischer Roman. Kriminalroman.
Verlag dtv, 2021