Iren sind menschlich

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Die Geschichte Irlands ist eine Geschichte des Kampfes der Iren mit den Engländern und der Iren gegen die Iren. Ian McGuires kriminalistisch angestrichener Roman springt mitten in diesen Konflikt – wenn auch nicht in Irland, sondern 1867 in Manchester. Dort werden drei „Fenians“ aufgeknüpft, irische Untergrundkämpfer, die einen englischen Polizisten umgebracht haben. Dass danach erst recht eine Gewalt wie Pesthauch in den Straßen liegt, ist offenkundig – und McGuires gelingt es wunderbar, diese Stimmung zu vermitteln. Die Handlung spielt also auf einem Pulverfass, zu dem eine Lunte führt, die nur noch angezündet werden muss. Die Handlung: Der irisch-stämmige Polizist James O’Connor soll für die Polizei von Manchester die „Fenians“ im Auge behalten und weitere Gewaltakte verhindern. Die „Fenians“ ihrerseits planen genau diese Gewaltakte und importieren den Spezialisten Stephen Doyle aus Amerika: Ein Profi soll es richten. Das Jäger-und-Gejagte-Spiel umspannt die besseren drei Viertel des Romans und macht auch deshalb Spaß, weil McGuire gleich von Anfang die Rollenverteilung dem Zufall überlässt: Jäger und Gejagter sind O’Connor und Doyle jederzeit beides.

McGuire hat sich für Manchester 1867 als Handlungsort entschieden, weil sich in den historischen Unruhen zwei topaktuelle Themen wiederfinden: Nationalismus und Terrorismus, wie er im Interview betont. Die Ambivalenz des „Terror“-Begriffs ist ihm gelungen – ursprünglich die Gewaltakte des Staates gegen die Bevölkerung bezeichnend, heute eher die Gewalt von politischen Gruppen gegen den Staat und die Bevölkerung. Auch die Handlung in „Der Abstinent“ ist flott, stimmig und spannend, bis sich nach drei Vierteln die Erzähl- und Stoßrichtung der Handlung ändert, politischer wird und weniger polizeilich. Vom Ende schweige ich hier besser – die Frage, „ob solche Teufelskreise [von Opfer und Gewalt] durchbrochen werden“, wie McGuire seine Motivation im Interview beschreibt, beantwortet er (leider).

Während Setting, Sprache, Stimmung und Handlung überzeugen (mit den o.g. Abstrichen), überzeugen die Hauptfiguren leider nicht. Sie bleiben auf rätselhafte Weise nur „Typen“ und werden keine „Protagonisten“, wie mein Deutschlehrer zu unterscheiden wusste: Typen repräsentieren nur einzelne Charaktermerkmale, Protagonisten sind vielschichtig. Mir erschein das besonders deutlich im Titel, der zwar Bezug nimmt auf die Bemühungen O’Connors, trocken zu bleiben, seinen Alkoholismus aber nur schlecht mit Person, Motivation und Handlung verbindet, obwohl – gute Idee – O’Connors Rückfall einen wichtigen Angelpunkt des Romans darstellt und den Weg „nach unten“ einläutet. Dass O’Connor zwischen den Stühlen sitzt – den Iren ist er Verräter, den Engländern immer nur Ire –, ist McGuire gut gelungen.

Fazit? Kann man lesen, aber besser liest man McGuires „Nordwasser“ – das ist nämlich wirklich genial