Drei Schicksale - drei Helden?

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Emile Gilliéron, 1885-1939. Laura d´Oriano, 1911-1943. Felix Bloch, 1905-1983. Drei Namen, drei Schicksale, drei Leben.
Drei unbekannte Namen, zumindest für mich, bis zur Lektüre dieses Buches. Drei Namen von Menschen, die tatsächlich existiert haben. Drei Leben, von denen Alex Capus in seinem neuesten Roman erzählt.

Emile Gilliéron, Maler und Restaurator - Vater und Sohn gleichermaßen - bekannt vor allem durch ihre bedeutsame Rolle bei der Wiederherstellung von Fresken und anderen Funden in Knossos auf Kreta. Das Vater-Sohn-Team arbeitete über 30 Jahre in Knossos, wobei es bunt und sorgfältig gearbeitete Reproduktionen malte, die auf der ganzen Welt verbreitet wurden. Mit ihren angeblichen Reproduktionen, die meist ganz anders als die ursprünglichen Tempelbemalungen waren, hinterließen sie einen lebendigen Eindruck von der minoischen Kultur. Ein (zwei) Leben zwischen Genialität und Fälscherei; immerhin sind die Werke noch heute im Metropolitan Museum of Art in New York zu bewundern...

Laura d´Oriano, eine starke, wenig angepasste Frau ihrer Zeit, Sängerin und Lebenskünstlerin. Führte der Lebensweg in eine Richtung, die ihr nicht gefiel, änderte sie kurzerhand den Lauf der Dinge. Genau wissend, was sie wollte und was nicht, ließ sie sich zwar gelegentlich auf Kompromisse ein, sich insgesamt jedoch nicht verbiegen. Sie schaffte es so lange unabhängig zu sein, bis sie in die Militärmaschinerie geriet: als Spionin von der französischen Widerstandsbewegung angeheuert, wurde sie schließlich gefasst und war letztlich die einzige Frau, die das faschistische Italien während des Zweiten Weltkrieges hinrichtete.

Felix Bloch, Physiker und Pazifist, arbeitete während des Zweiten Weltkriegs gemeinsam mit J. Robert Oppenheimer im Manhattan-Projekt am Bau der Atombombe. Geschuldet der Prämisse, dass es entweder die Deutschen oder die Amerikaner sein würden, die als erste die Atombombe herstellten, ließ sich Bloch auf dieses Projekt ein und damit in den Dienst einer Maschinerie stellen, vor der ihm eigentlich graute. Für die Entdeckung der Kernspinresonanz erhielt Bloch 1952 den Nobelpreis für Physik.

Beim Lesen des Buches drängt sich zwangsläufig die Frage auf, weshalb Alex Capus die Schicksale gerade dieser drei Menschen parallel zueinander erzählt. Gemeinsam ist ihnen lediglich, dass sie versuchen, ihren Weg im Leben zu gehen und dabei ihren Überzeugungen nach Möglichkeit nicht zuwider zu handeln. Und letztlich durch die Umstände der Zeit an diesem Vorhaben scheitern.
Insofern stehen diese drei Menschen vielleicht exemplarisch für viele ähnliche Schicksale, die dadurch ebenfalls eine Würdigung erfahren. Als "Helden wider Willen", als die der Klappentext die drei bezeichnet, würde ich sie jedoch nicht sehen.

Alex Capus erzählt die drei Lebensgeschichten eng orientiert an den nachzulesenden bekannten Fakten über die Personen, schafft daraus aber ein Gesamtwerk, das angefüllt ist von der Fantasie des Autoren.
Motive, Beweggründe, Details der Handlungen - alles ergänzt Capus gemäß der Prämisse: "Die Fakten sind die unteilbaren kleinsten Teile (...) und zwischen ihnen klaffen Universen gähnender Leere. (...) darum sind wir verpflichtet, die Lücken zu füllen (...) damit wir die Bruchstücke unseres Wissens in Beziehung zueinander bringen und daran glauben können, dass das alles (...) einen Sinn hat." (S. 148)

Wie schon bei "Léon und Louise" gefällt mir auch hier der leise, ruhige Schreibstil von Alex Capus sehr gut. Die sorgfältige Recherche nicht nur der drei Biographien, sondern der gesamten Lebensumstände dieser Zeit, ist dem Roman anzumerken - er atmet geradezu die Atmosphäre der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Es ist richtiggehend faszinierend, wie "nebenher" Details der damaligen Zeit in die Erzählung einfließen und ein umfassendes Bild liefern.
Allerdings - und dies hat mich beim Lesen immer wieder gestört - waren manche Passagen überaus anstrengend zu lesen. Vor allem wenn in langen Schachtelsätzen physikalisch-mathematische Problemstellungen und Zusammenhänge ausführlich erläutert wurden oder aber Beschreibungen und Aufzählungen rund um die archäologischen Funde bei Knossos sehr detailliert und langatmig gerieten. Zudem blieben die Personen, obgleich interessant präsentiert, eigentümlich abstrakt und unnahbar.

Interessant, durchaus, aber für mich ohne die Leichtigkeit und Intensität, die beispielsweise "Léon und Louise" auszeichnete.


© Parden