Erfreulich anders

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stephanus217 Avatar

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Endlich haben wir es mal wieder mit einem Krimi zu tun, der nicht dem aktuellen "main stream" folgt. Endlich mal kein Kommissar, der aufgrund burn out, Strafversetzung, persönlichem Schicksalsschlag oder was auch immer seiner Komfortzone verlustig geht und weit weg, vorzugsweise in bekannten Urlaubsregionen einen -überaus erfolgreichen natürlich- Neuanfang hinlegt. Oder doch, nur gut 100 Jahre früher?

Unser Protagonist, ein junger Jurist Ende des 19.Jh. in Berlin, dem niederen Landadel entstammend und preussischer Reserveoffizier, ist ein glühender Anhänger der neu aufkommenden Kriminaltechnik/Forensik und wird deshalb von seinem ehem. Professor an die Polizei München empfohlen, um dort die Kriminalpolizei aufzubauen.
Bereits sein erster Mordfall gestaltet sich völlig skurril und er versucht mit den Mitteln der neuen Technik den Täter zu übeführen, unterstützt von dem ähnlich enthusiastischen Rechtsmediziner.
Früh gerät ein überaus schillernder Fabrikant mit unklarer Vita ins Fadenkreuz, der nicht nur im zu lösenden Mordfall eine zentrale Rolle zu spielen scheint; um ihn spinnt sich auch noch eine veritable Spionagegeschichte, die unseren Hauptmann zwischen Bayern und Preussen zu zerreissen droht...

Ich finde diesen ungewöhnlichen Krimi herausragend, insbesondere wenn man bedenkt, dass es sich um einen Erstling handelt.

Zugegeben, ein Thriller ist es nicht gerade, die Story kommt gemächlich, ja altmodisch daher. Ich hatte zunächst auch etwas die Befürchtung, dass diese beschauliche Erzählweise im Verlauf der Gschichte ziemlich nervig werden könnte und tatsächlich, ein paar Längen hat das Buch. Man wird aber von der Lebendigkeit der Sprache, der Genauigkeit der Beobachtung und der liebevollen Zeichnung der Protagonisten mehr als entschädigt. Der (vermeintliche) Bösewicht z.B. ist so herrlich überzeichnet, dass man glaubt, Dr. Loveless aus „Wild Wild West“ vor sich zu haben.

Hinzu kommen schreiend komische Situationen und eine feine, nostalgische Beschreibung eines vergangenen München (Ortskenntnis ist übrigens hilfreich, aber nicht notwendig).

Etwas unbefriedigend ist das (teilweise) offene Ende, aber da das Bändchen bereits als Beginn einer ganzen Reihe angekündigt wurde, ist der cliffhanger dramaturgisch wohl erforderlich.

Ein rundum gelungenes Lesevergnügen