Porträt einer gottverfluchten Scheißwelt

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buecherfan.wit Avatar

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In seinem preisgekrönten Roman “Der Heiler” entwirft der finnische Autor Antti Tuomainen eine düstere Zukunftsvision. In einer nicht näher definierten nahen Zukunft ist eine Klimakatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes eingetreten. Ganze Landstriche sind durch Überschwemmungen unbewohnbar geworden, es gibt Kriege um Wasserreserven, und bis zu 800 Millionen Klimaflüchtlinge haben ihre Ursprungsländer verlassen und ziehen um die Welt auf der Suche nach Nahrung und akzeptablen Lebensbedingungen. Seuchen wie Tuberkulose, Ebola und die Pest suchen die Menschen heim. Allein auf dem Boden der europäischen Union gibt es dreizehn Kriege und bewaffnete Konflikte. Auch Finnland ist betroffen. Ein Teil der Bevölkerung versucht zwar noch, so etwas wie Normalität aufrecht zu erhalten, aber auch hier ist das Chaos ausgebrochen: Häuser werden durch monatelangen Regen zerstört und die personell unterbesetzte Polizei kann Ordnung und Sicherheit nicht mehr gewährleisten. Extrem gewaltbereite private Sicherheitsdienste haben jetzt Konjunktur. In diesem Klima ermordet ein radikaler Umweltschützer, der sich “Der Heiler” nennt, Unternehmer und Manager, denen er die Schuld am Zustand der Welt gibt, samt ihren Familien.
Vor diesem Hintergrund spielt sich auch die private Tragödie ab, die im Mittelpunkt dieses Romans steht. Der relativ erfolglose Dichter Tapani Lehtinen hat seit 24 Stunden keinen Kontakt mehr zu seiner Frau Johanna, einer engagierten Journalistin. Das ist deshalb besorgniserregend, weil Tapani und Johanna seit zehn Jahren glücklich verheiratet sind und immer in Verbindung bleiben. Tapani Lehtinen nimmt Kontakt zu Johannas Chef, Redaktionsleiter Lassi Uutela auf, der ihm aber nicht helfen kann oder will. Immerhin sagt er ihm, woran Johanna zuletzt gearbeitet hat und lässt ihn ihre Notizen einsehen. Es stellt sich heraus, dass Johanna einen brisanten Artikel über den Heiler schrieb und der Spur seiner Verbrechen folgte. Von Redaktionsleiter Uutela stammt im übrigen auch der prägnante Kommentar zum gegenwärtigen Zustand der Welt: “Diese gottverfluchte Scheißwelt.“ (S. 21).
Lehtinen nimmt Kontakt zur Polizei auf. Polizist Jaatinen hat jedoch keine Zeit, sich um Vermisstenfälle zu kümmern. Er kann nicht einmal die zahlreichen Morde aufklären. Nach und nach akzeptiert er jedoch Tapani Lehtinen als informellen Mitarbeiter und lässt ihm Informationen zukommen, die ihm bei der Suche nach Johanna helfen. Auch ein nordafrikanischer Taxifahrer ist Lehtinen behilflich, rettet ihm sogar das Leben, denn Lehtinens Nachforschungen bringen ihn mehrfach in höchste Gefahr.
Die Suche nach seiner geliebten Frau führt Lehtinen in die Abgründe der neuen finnischen Gesellschaft, lässt ihn an alten gewachsenen Freundschaften zweifeln und eröffnet ihm vor allem Einblicke in die Vergangenheit seiner Frau, von der er kaum etwas wusste. Er erkennt, dass sie viel stärker in die Geschichte des Heilers verstrickt ist, als er sich jemals hätte vorstellen können. Nichts kann jedoch seine tiefe Liebe zu Johanna erschüttern, ohne die er sich sein Leben nicht vorstellen kann. Diese Liebe ist der einzige Lichtblick in einer ansonsten hoffnungslos finsteren Welt..
Der Roman ist gut geschrieben, spannend und regt zum Nachdenken an. Wie in guter Science-Fiction-Literatur werden real existierende aktuelle Tendenzen fortgeschrieben und in ihren Auswirkungen untersucht. “Der Heiler” hebt sich erfreulich von durchschnittlichen, häufig ziemlich banalen Thrillern ab und verdient deshalb eine uneingeschränkte Empfehlung.