Was würdest Du tun...

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zornroeschen Avatar

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…wenn das, was Du am Meisten liebst, plötzlich verschwunden ist? Wenn der letzte Lichtblick in einer dunklen Welt, die dem Ende geweiht zu sein scheint, nicht mehr da ist? Wirst Du alles daran setzen, sie zu finden? Wirst Du für sie Wege gehen, von denen Du dachtest, Du würdest sie nie beschreiten können?
Sie, das ist Journalistin Johanna. Sie ist die große Liebe von Tapani, dem Lyriker. Seit zehn Jahren sind sie glücklich verheiratet, halten, wenn sie arbeitet, häufig Kontakt, vielleicht sogar zu häufig.
Doch plötzlich ist sie verschwunden. Tapani kann sie nicht erreichen, sein Handy stellt keine Verbindung zu dem von Johanna her. Sie hatte einen Termin, zu dem sie der Fotograf Gromow begleitet hat. Und der ist inzwischen tot. Was ist passiert?

Die Geschichte beginnt zwei Tage vor Heilig Abend. Der Leser befindet sich plötzlich mitten in der Suche nach Johanna. Man begleitet Tapani, dem Ich-Erzähler in „Der Heiler“ von Antti Tuomainen. Diese Suche spielt sich in Helsinki ab. Die Stadt ist im Ausnahmezustand. Die Menschen haben die Quittung für Jahrzehnte voller Umweltverschmutzung, Zerstörung und Geldgier erhalten. Jeder ist sich selbst der Nächste. Bald wird es kein Wasser mehr geben. Viele Häuser stehen leer, die Bewohner, die es sich leisten können, flüchten noch weiter in den Norden von Europa. Sicherheitsfirmen haben die Macht übernommen, sie verprügeln jeden, der sich ihrem Gebiet nähert. Die Polizei ist überfordert, wenn nicht sogar kurz vor der Kapitulation.
Die Szenerie, die hier gezeichnet wird, ist wahnsinnig trostlos und bedrohlich. Hinzu kommen ständiger Regen, Wind und Kälte, die Tapani die Suche erschweren.
Es ist dennoch bemerkenswert, wie sich der Protagonist durch diese Endzeitstimmung kämpft. Er klopft jeden möglichen Anhaltspunkt ab, recherchiert, befragt und observiert. Eben noch schienen ihm seine Freunde Elina und Ahti zur Seite zu stehen, plötzlich wendet sich das Blatt. Der Chef von Johanna gibt vor, Tapani helfen zu wollen und doch soll ihn möglichst niemand in der Redaktion sehen. Er will auch keine große Story in der Zeitung über das Verschwinden der Journalistin Johanna bringen, denn das will angeblich ja niemand lesen in dieser sowieso schon schweren Zeit. Wem kann Tapani überhaupt noch glauben?
Schließlich ist er sogar kurz davor, seine Beziehung zu Johanna anzuzweifeln. Sie war lange vor Tapani mit Pasi Tarkiainen zusammen, einem radikalen Umweltaktivisten, der irgendwie in Zusammenhang mit dem Heiler steht. Der Heiler mordet, er schaltet Familien aus. Er sieht in den reichen Geschäftsmännern die Quelle allen Übels, sieht sie als Verursacher der Dystopie. An dieser Sache ist Johanna ganz dicht dran, der Heiler steht mit ihr in Verbindung, versorgt sie mit Informationen und Hintergründen für seine Tat. In Tapani kocht neben Verzweiflung, Kraftlosigkeit und Wut nun auch noch Eifersucht hoch.

Zwei wichtige Charaktere sind weiterhin Hamid, der Taxifahrer, der Tapani nicht nur ein Mal das Leben rettet. Und der Polizist Jaatinen, der ihm Zugang zu streng vertraulichen Aufnahmen und Ermittlungsakten gewährt. Ohne diese beiden wären Tapani aufgeschmissen. Es tut dem Leser gut, dass die Hauptfigur in dieser chaotischen und gefährlichen Welt zwei Konstante hat.

Anfangs war ich skeptisch, denn Thriller lese ich eigentlich nicht besonders gern. Doch auch, wenn sich „Der Heiler“ als diesem Genre zugehörig zeichnet, er ist es nicht. Sicher, es fließt Blut, es herrscht Gewalt, doch die eigentliche Handlung empfinde ich als tiefgründiger; Die Suche nach dem Menschen, den man liebt. Der zunächst lakonisch wirkende Tapani läuft zur Hochform auf, er ist wortgewaltig, schlagfertig, steckt (körperlich) viel ein und rappelt sich dennoch immer wieder auf.
Mir gefällt, wie Tuomainen Details beschreibt. Der Leser befindet sich so mitten im Geschehen, wird mitgenommen auf die Suche nach Johanna. Mir gefällt, wie Tapani kleine Puzzle-Teile zu einem großen Ganzen zusammensetzt. Dass ihm dabei immer mal wieder ganz plötzlich Fragmente einfallen, die vorher überhaupt nicht zu erahnen waren, nehme ich hin.
Was mich beim Lesen gestört hat, waren – ich muss es zugeben – die vielen finnischen Namen. Ich wüsste schon gern, wie ich die Personen in einem Buch zu lesen habe; heißt der Polizist nun wirklich Jaatinen, vielleicht Ja-atinen oder vielleicht ganz anders? Doch das ist ja noch recht leicht, viel mehr empfand ich bald Kasisaniemi, Kaivokatu und die anderen Park-, Straßen- und Stadtteilnamen als anstrengend.
Die Geschichte selbst hat mich doch in ihren Bann gezogen. Was mich leider nicht überzeugt hat, war ihr Ende. Was nun genau mit Johanna passiert ist, das bleibt unklar. Und auch der allerletzte Satz des Buches lässt den Leser mit einer unangenehmen Unwissenheit zurück. Was hat Tapani vor? Jetzt, mehrere Monate nach den Geschehnissen vom Dezember.