Aggression trifft Poesie

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Wie man sich aus einer Umgebung emanzipiert, die dir nicht die besten Voraussetzungen für dein Leben mitgibt, zeigt der 11-jährige Eli Bell, Protagonist in Trent Daltons erstem Roman. In einem Vorort des australischen Brisbane wächst dieser in den 1980er-Jahren in einer Welt voller Gewalt, Drogen und sozialen Missständen auf. Sein Babysitter und gleichzeitig bester Freund ist ein verurteilter Mörder, der seine Strafe abgesessen hat. Sein Vater, schwerer Alkoholiker und psychisch massiv labil, hat die Familie verlassen. Seine Mutter ist gemeinsam mit ihrem neuen Partner in obskure Drogengeschäfte verwickelt. Dennoch schafft es Eli gemeinsam mit seinem vermeintlich stummen und möglicherweise zu Übersinnlichem fähigen Bruder August die Hoffnung nie zu verlieren. Sein Ziel: Journalist werden und mit Hilfe der Sprache neue Welten erschaffen!

Dieses Buch hinterlässt mehr Frage- als Ausrufezeichen: Während auf den ersten 400 bis 450 Seiten Eli von einer Katastrophe in die nächste gerät und darauf aus mir unerfindlichen Gründen vordergründig zumeist nur mit einem Schulterzucken reagiert, laufen auf den letzten hundert Seiten schließlich alle Fäden zusammen und es entsteht so etwas wie ein Happy End. An sich ja ganz schön, wenn man bedenkt, was für eine furchtbare Kindheit und Jugend der kleine Eli hinter sich hat. Woher aber diese Stärke der Hauptfigur kommen mag, erschließt sich mir ganz und gar nicht. Sicher, er hat mit dem Ex-Häftling Slim und seinem Bruder August Vertrauenspersonen, die ihn beim Erwachsenwerden unterstützen, aber das Wegstecken der enormen Gewalterfahrungen gerät mir doch definitiv zu glatt und unhinterfragt.

Ambivalent habe ich auch die Sprache empfunden, die Dalton, hier in der Übersetzung von Alexander Weber, wählt: Die zum Teil lakonisch vorgetragenen Brutalitäten wechseln sich mit einer gelegentlich experimentell anmutenden und in ihrer Sprachkraft auch starken Poesie ab, die zwar wohl die Introspektive Eli Bells darstellen soll. Es fällt jedoch schwer, den unterschiedlichen Tönen und sprachlichen Farben Daltons zu folgen. Er erzählt eine Geschichte, die in ihrer Vehemenz wirkungsvoll und eindrücklich ist, die aber gleichzeitig auch an Pointierung vermissen lässt. Wenn es nun ein Coming-of-Age-Roman ist, wozu dann diese vermeintlichen Elemente von Übersinnlichkeit? Verarbeitet Eli damit seine Erlebnisse aus der Kindheit und Jugend oder steckt mehr dahinter? So entsteht insgesamt ein Roman mit einem starken Protagonisten, der aber genrespezifisch und in seiner Sprache zu sehr an einen Gemischtwarenladen erinnert. (Instagram @bjoernandbooks.de)