Zuflucht am roten Telefon

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
bobbi Avatar

Von

Eli Bell ist der junge Coming-of-Age-Protagonist in Trent Daltons opulenten Roman „Der Junge, der das Universum verschlang“. Der sprachbegabte, nachdenkliche Ich-Erzähler hat es alles andere als leicht, wächst mit heroinsüchtigen Eltern in den 1980ern in einem ärmlich-morbiden Vorort von Brisbane auf und sein Bruder August ist verstummt. Die Brüder müssen einen Alltag voller Gewalt und Angst durchleben – als Babysitter und Mentor steht ihnen der berüchtigte Slim Halliday zur Seite, der den heranwachsenden Jungs eine Menge über Gefängnisausbrüche und menschliche Wesen zu erzählen hat. Detailliert schildert Dalton teils aus eigenen biografischen Erfahrungen einen kriminellen und brutalen Familienalltag im Drogenmilieu, aber auch feinfühlig-skurril die Fantasie von Eli – ein geheimes Zimmer mit rotem Telefon katapultiert den Jungen oft in ein Paralleluniversum, das ihm über die Trostlosigkeit seines Lebens hinweghilft. Und die bunt-poetisch-entrückte und surreale Sicht von Eli auf seine Umwelt lässt auch die schwere inhaltliche Kost beim Lesen ertragen.

So müssen die Geschwister auch den harten Drogenentzug der Mutter miterleben und stehen bald fast alleine da, als Stiefvater Lyle wegen Drogen entführt wird und die Mutter ins Gefängnis muss. Sie landen bei ihrem leiblichen Vater, einem psychisch labilen Alkoholiker. Viel zu viel Verantwortung und Traumata für Kinder, doch Eli erkämpft sich nach zahlreichen spannend-harten Abenteuern einen Weg aus all dieser Misere – sein Traum ist es, Journalist zu werden und seine Liebste zu erobern!

Trent Dalton ist ein opulenter und kreativer Geschichtenerzähler und ihm ist ein sprachgewaltiger, poetischer und unkonventioneller Coming-of-Age-Roman gelungen, der Genres und Themen gekonnt vermischt – Fiktion, Thriller, mystisch-magisches Märchen, Gesellschafts-, Milieu- und Familienroman samt unvorhersehbaren Wendungen und einem furiosem Showdown am Ende. Teilweise bin ich der Meinung, der Roman hätte um mehrere Seiten und Episoden gekürzt werden können – doch das Universum und Daltons Sprachfinessen sowie Wortspielereien sind unendlich und irgendwie hängt alles symbiotisch miteinander zusammen und kann nicht abschließend ergründet werden. So bleiben manche Prophezeiungen wie die des blauen Zaunkönigs und weitere Fragen ungelöst. Ein etwas anderer Roman, der zwischen Liebe und Gewalt pendelt und mit viel schwarzem Humor und Fiktion über die Härten und Ungereimtheiten des Lebens lyrisch hinwegfegt.