Vielschichtig auf Lanzarote unterwegs

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elke seifried Avatar

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„Pedros Handy klingelte, es war Carlota, sie rief direkt von der Rezeption des Crystal Palace in Playa Blanca an. »Was machst du?«, fragte sie. »Ich arbeite«, antwortete Pedro, er starrte dabei auf seine gelbe Diensthonda, Viertaktmotor, luftgekühlt. Auf dem Tank stand mit blauer Schrift »Correos y Telégrafos«, die staatliche Post des Königreichs Spanien: »Gegründet 1519«. Auf seinem Dienstpullover war sogar eine goldene Krone ins Postemblem gestickt“

Genau dieser Pedro Fernández García lebt mit seiner Lebensgefährtin Carlota und seinem Sohn Miguel auf Lanzarote . Er hat von seinen Eltern nicht nur das Haus, in dem er aufgewachsen ist und er jetzt mit den beiden lebt, sondern auch das kleine Postbüro in Yaiza und damit seinen Job geerbt. Er liebt seine Arbeit, allerdings gibt es für ihn weit weniger als noch für seinen Opa, seinen Vater und in seiner eigenen Anfangszeit zu tun, denn, „Vor der Erfindung des Internets hatte er in einer Woche sogar mehr Briefe gehabt als Carlota Neckermann- oder Tui-Touristen! Ja, mehr als 1000 Briefe und andere Poststücke […] aber dann war das Briefaufkommen von Jahr zu Jahr gesunken. Inzwischen war auch noch der Paketversand weggebrochen, den übernahmen nun private Dienste“, weshalb er, als Carlota ihn anruft auch, wie sie in Arbeit versinkt, sondern im Norden der Insel vor einem Café con leche sitzt und sich die Zeit vertreibt. Café-con-leche-Route nennt er das, denn schließlich muss er Kilometer machen, denn „die Tankbelege hatte er seit Anfang des Jahres bei der Postzentrale einzureichen, als Arbeitsnachweis, und Pedro musste mit seiner Diensthonda jeden Monat so viele Tankfüllungen leer fahren, wie er für 1200 Kilometer gebraucht hätte, um die staatliche Post des Königreichs Spanien von der Notwendigkeit seines Arbeitsplatzes zu überzeugen.“ und . „Bis in den Norden der Insel nach Órzola waren es 58 Kilometer. Dort trank er am Hafen den Café con leche und fuhr wieder zurück, noch mal 58 Kilometer. Wenn er das dreimal die Woche machte, kam er schon damit hin.“ Die wenigen Postwurfsendungen, die ihm noch bleiben, sind schnell verteilt, weshalb er genügend Zeit hat, sich um seinen Sohn Miguel zu kümmern. Er bringt ihn zur Schule, holt ihn wieder ab und macht mit ihm Hausaufgaben, während Carlota immer mehr in ihrer Arbeit im Hotel versinkt, wohl von einem besseren Leben träumend. Als bei einem Ausflug, von dem sie nichts wissen sollte, ein Unfall geschieht, packt sie Koffer und Sohn. Da sein alter Freund Tenaro, der Pedro zu dem Ausflug überredet hat, damit nicht ganz unschuldig war und nicht sehen kann, wie sehr Pedro leidet, weil Carlotta jeglichen Kontakt zu Miguel unmöglich macht, versucht er ihn mit weiteren Ausflügen und Nachforschungen abzulenken und ihn dabei aufzuheitern. Leider wenig erfolgreich, weshalb ihm die zündende Idee einer Entführung des Jungen kommt. Ob es damit gelingen wird?

Nachdem man Pedro als liebenden Vater kennenlernen darf, muss man recht schnell mit ihm leiden, weil Carlotta so dreist mit dem Jungen abhaut, darf sich mit ihm nach Kräften und gewagten Aktionen darum bemühen, Kontakt zu beiden aufzunehmen und natürlich mit ihm fiebern, ob ihm das gelingen wird. In diese Rahmenhandlung, die mich persönlich am meisten ans Buch gefesselt hat, webt der Autor viele andere Themen ein. Es gibt Nachforschungen zur spanischen Geschichte, es geht um Fußball, Rassismus, Flüchtlingsdramen, es werden Familiengeheimnisse bei Tenaro und Pedro aufgedeckt und dabei Vatergefühle analysiert, es wird über Vulkane philosophiert und auch einiges über diese gelernt, es wird über die Digitalisierung und Globalisierung diskutiert und einiges mehr. Ganz klar, darf man sich dabei so richtig auf Lanzarote einnisten.

Der locker, plaudernde Sprachstil des Autors liest sich flüssig. Es verwendet unheimlich viele Bilder, beschreibt sehr anschaulich, sodass ich mich immer mit vor Ort fühlen und mir alles in meinem Kopfkino bestens ausmalen konnte. Auch die Gefühle kommen bei der empathischen Ausdrucksweise nicht zu kurz und ich habe so richtig mit Pedro gelitten, gehofft und war oft richtig gerührt, weil seine innige Liebe zu seinem Sohn so intensiv fühlbar war. Sehr gut gefallen hat mir, dass ich, besonders zu Beginn, immer wieder schmunzeln konnte, allerdings habe ich durchaus auch die eine oder andere Länge verspürt. Manche Nebenthemen fand ich unterhaltsam und die Geschichte bereichernd, wie z.B. die Auswirkungen der zunehmenden Digitalisierung, „Die Vorstellung, sein Sohn würde die Hausaufgaben über die historischen Naturereignisse in Carlotas Geräte mit Touchscreen schreiben, während er gegenüber am leeren Sortiertisch das digitale Zeitalter ausbaden und sich an die Postwurfsendungen klammern musste– diese Vorstellung machte ihn wütend.“, oder auch die Enthüllungen um die Väter der beiden Freunde, andere haben mich eher weniger mitreißen können. Deshalb hätte es mir ein wenig mehr der Dinge rund um die Pedro Miguel Geschichte, von der es gerne noch mehr sein hätte dürfen, auch genügt. Richtig gelungen empfand ich aber das Lokalkolorit. Nach Lanzarote kann man sich hier auf jeden Fall träumen. Auch die Darsteller sind lebendig erdacht und gelungen gezeichnet. Der etwas lethargische, gutmütige Pedro war mir von Anfang an sympathisch. Tenaro, der verrückte Ideen hat und gerne alles zu Geld machen will, hat mich so ganz oft amüsiert. Auch über Carlota konnte ich zunächst schmunzeln, allerdings konnte ich dann so gar nicht verstehen, warum sie so rigide ist.

Ich habe teilweise gelesen und teilweise gehört. Beim Hörbuch fiel es mir nicht immer leicht, mit meinen Gedanken nicht in Gefahr zu geraten, abzuschweifen. Allerdings denke ich, dass ich an genau diesen Stellen auch beim Selbstlesen Längen verspürt hätte, vielleicht sogar noch viel mehr, denn dem wirklich tollen Vortrag von Hans Löw kann ich das auf keinen Fall anlasten. Er hat das Beste aus der Vorlage gemacht. Ich habe seiner mir sehr angenehmen Stimme unheimlich gerne zugehört. Er ist mit ganz viel Herzblut am Werk, kann Emotionen gelungen transportieren und verleiht allen Darstellern ihr ganz eigenes Profil. Das war mein erster von ihm eingelesener Roman, wird aber sicher nicht mein letzter bleiben.

Alles in allem reicht es bei mir nicht mehr für fünf Sterne, aber sehr gute vier und eine Lese- und eigentlich noch mehr eine Hörempfehlung sind auf jeden Fall drin.