Queer as f*ck!

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lesestress Avatar

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„Ein Mädchen, das allein im Park weint. Ein Junge, der in einem Brunnenschacht stirbt. Eine Transe, die mir wegen einer anderen Transe in den Ohren liegt. Eine Karriere, die am seidenen Faden hängt. […] Teurer Zeus, sogar der arme Atlas tat sich leichter, die Welt auf seinen Schultern zu tragen.“

Oded „Wühlmaus“ Chefer ist nicht der typische Detektiv und ehrlicherweise auch nicht der smarteste, aber – immerhin vielleicht – der originellste Ermittler seit Sherlock Holmes. Seine Ermittlungen bilden jedenfalls das Pendant zur Holmes’schen Deduktion. Beziehungsweise ist es bei Oded eher ein Raten. Jedenfalls zieht er meistens die falschen Schlüsse, lässt sich beim Anblick jedes gut aussehenden Mannes ablenken und hat mit privaten Ermittlungen, nun ja, eigentlich keinerlei Erfahrung. Der vermeintlich einfache Auftrag, sich um ein 15-jähriges Pop-Sternchen zu kümmern und es wieder zum Singen zu bringen, scheint seine Möglichkeit zum langersehnten Aufstieg in die Welt des Tel Aviver Glamours und Reichtums. Wäre da bloß nicht diese unangenehme Korrelation mit einer trans Frau, die mit seinem Fall ebenfalls irgendwie in Verbindung zu stehen scheint. Mit fortschreitenden Ermittlungen wird der „Wühlmaus“ klar, dass Israels wohlhabende Elite ihre glamouröse Fassade auf dem Schweiß und Blut weniger privilegierter Menschen aufgebaut hat. Oded muss eine Entscheidung treffen: Soll er das süße Leben der High-Society genießen oder zu seiner queeren Community stehen?

Yonatan Sagiv denkt den – angestaubten? – Kriminalroman neu und kreiert in seiner Reihe um den Ermittler Oded Chefer eine Noir’sche Geschichte von diverser Pluralität. Dabei zeigt er ein Israel, das so ganz anders ist als das Bild des religiös geprägten Landes, das in unserem Denken (vielleicht?) noch vorherrscht: Transsexuelle, Diskussionen über gendergerechte Sprache, die Vielfalt von LGBTIQA+-Leben und dessen Repräsentation in der Öffentlichkeit – dieser Krimi ist beinahe überfüllt von queeren Themen und schafft es doch mit einem Augenzwinkern die Political Correctness nicht einmal zu touchieren. Bei aller vorsätzlichen Fahrlässigkeit driftet der Text aber nie ins Lächerliche ab, sondern erhält sich so eher eine gewisse Leichtigkeit innerhalb der Schwere seiner Themen.

„Der letzte Schrei“ war für mich (als eine Person, die quasi nie Krimis liest) ein besonderes Buch: Der Einblick in die queeren Communitys von Tel Aviv, der Plot mit seinen Morden und Sagivs Ermittler wider Willen haben mich nicht nur gut unterhalten und für einige Schmunzler gesorgt, sondern mich auch in eine mir unbekannte Welt entführt. Ein Krimi, der für mich genau im richtigen Moment kam und eine schöne Abwechslung zu meiner sonstigen, belletristischen Lektüre war. Leseempfehlung!

Aus dem Hebräischen von Markus Lemke.