Sprachlich unterhaltsam, inhaltlich dünn

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julie1602 Avatar

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Der polnische Junge Walerian wird von seiner Mutter als Kleinkind zunächst für mehr als 10 Jahre bei seinen Großeltern abgegeben und dann schließlich von ihr nach Wien "entführt" - die durchgängige Verwendung dieses Ausdrucks beschreibt die Verzweiflung, in die ihn diese Entwurzelung treibt, sehr gut. Trotzdem haben wir es nicht mit einer ausschließlich traurigen Geschichte zu tun - Walerian ist ein positiver Mensch, schlägt sich in Wien durch und erlebt immer wieder auch schöne Momente.

Die nur 122 Seiten umfassende Erzählung lässt sich schnell durchlesen und geht dabei gut von der Hand. Der Schreibstil ist locker, die Wortwahl sehr gewandt, sprachlich ist das Buch ein echtes Vergnügen. Inhaltlich bleibt es meiner Meinung nach aber leider hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die teilweise sehr lose aneinander gereihten Episoden lassen einen roten Faden vermissen, sehr vieles wird weg- und der Fantasie des Lesers überlassen. Mich hätten die Beziehungen zwischen Walerian und den Menschen, von denen er umgeben ist, mehr interessiert. Von seiner Mutter erfahren wir zum Beispiel nach der "Entführung" so gut wie gar nichts mehr. Und was ist mit Teresa - ist Walerian in sie verliebt oder sieht er sie tatsächlich nur als Affäre? Was ist mit den Großeltern, bei denen er immerhin aufgewachsen ist und die er nach eigener Aussage sehr vermisst? Wieso stellt sich nie die Frage, ob er als Erwachsener nach Polen zurückkehren könnte?

Mir bleiben in dem Buch zu viele Fragen offen und ich bin nicht dicht genug an den Protagonisten herangekommen, um die Geschichte mit mehr als 3 Sternen zu bewerten. Nebenbei bemerkt halte ich den Preis von 16 Euro für ein derart dünnes Büchlein für eine Frechheit vom Verlag.