Tragischer Protagonist?

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nadines_buecher Avatar

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Hat Martin kein Glück, weil bereits seine Mutter Maria ständig vom Schicksal damit überrascht wird, was alles schief laufen kann? Ist Unglück erblich, liegt es in den Genen, in der DNA? Liest man die ersten Seiten der Leseprobe, könnte man auf diesen Gedanken kommen. Außer unglücklichen Situationen teilt Martin mit seiner Mutter jedoch auch die Liebe zum Wind, dem Gefühl, weggetragen werden zu können. Doch scheinbar haben die beiden nie darüber gesprochen, somit nicht gewusst, dass dies sie verbindet. Auch weiß Martin scheinbar nicht, dass die Großmutter, die er als energisch und resolut kennt, auf ihre Tochter die gleiche Wirkung hatte. Während Maria vor Martins Geburt bemerkt, dass Glück die Abwesenheit von Schmerz ist, ist Martin, inzwischen erwachsen und in der Psychiatrie, noch nicht so weit. Immer wieder fallen ihm Ereignisse ein - ob er alte Fotos betrachtet oder mit seiner Ärztin, Dr. Manuela Lerche, über seine Kindheit spricht -, in denen er Pech hatte. Ob es die Fliege ist, die ihm eine Fahrt auf dem Kettenkarussell verdirbt oder der abgebrochene Flügel eines metallenen Löwen, auf dem bereits Generationen von Kindern herumgeklettert sind, bei dem aber ausgerechnet als Martin auf ihm sitzt ein Flügel abbricht. Ist der Flügel ein Symbol für den Wind und die Freiheit, die Martin nicht erleben wird und kann? In seiner Eigenart findet Martin, es stünde ihm nicht zu, Ärger und Wut zu empfinden. Im Gegenteil muss er aufpassen, in anderen dieses Gefühl nicht hervorzurufen und verhält sich entsprechend. Ist Auslöser der geheimnisvolle Bruder, den er zunächst als imaginären Bruder beschreibt? Oder die Trennung der Eltern, die die Mutter aus der Bahn warf und dazu führte, dass sie ihren Sohn zu ihrem Verbündeten machen wollte anstatt ihn Kind sein zu lassen? Stilisiert sich dies hoch zum Tode der Mutter, zu dem Martin zu spät kam und damit die Mutter erneut enttäuschte? Was hat er seiner Frau angetan? Was war der Auslöser für den versuchen Sprung aus dem Fenster eines Hotels? Gibt es Menschen, die in der Tat vom Pech verfolgt sind, oder ist dies tatsächlich Einstellungssache?
Gestochen scharf erzählt, sehr plastisch und nachvollziehbar geschildert, jedoch auf den Seiten der Leseprobe Rätsel aufgebend und damit Spannung und Neugierde aufbauend. Was hat Martin getan, um so zu werden, wie er ist? Wie hat ihn seine Umwelt, seine Mutter beeinflusst so zu werden? Kann er geheilt werden, bzw. eine andere Sicht auf die Welt erlangen, fragt man sich und möchte weiter und weiter lesen, erfahren, welch tragischer Held - oder welch schwarze Seele vielleicht - sich hinter den nächsten Seiten verbirgt.
Das Cover-Bild könnte passender nicht sein: Ein Marienkäfer, bekannt als Glückssymbol - liegt auf dem Rücken. Für einen Käfer die verheerendste Position. Sehr kafkaesk, weckt Interesse.