Irgendetwas fehlt

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irisblatt Avatar

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Caroline Albertine Minor hat einen Roman der leisen Töne geschrieben. Die für mich faszinierendste, poetischste und stärkste Szene findet sich gleich zu Beginn als die bereits verstorbene Charlotte (die Mutter) ihre Umgebung irgendwo „In einer anderen Welt“ erkundet. Charlottes Tod liegt Jahre zurück, ihre Tochter Ea lebt in San Francisco, eine weitere Tochter (Sidsel) und ein Sohn (Niels) in Kopenhagen. Es gibt wenig Berührungspunkte der Geschwister, obgleich Sidsel und Niels in Notlagen aufeinander zählen können. Neben einigen Nebenfiguren sind vor allem noch eine Tante im Pflegeheim sowie Beatrice (ein Medium, das Kontakt zu Verstorbenen aufnehmen kann) und ihre Tochter zentral für den Roman.
Die einzelnen kurzen Kapitel gleichen einer Kamerafahrt, deren Zoom abwechselnd die aktuelle Lebenssituation, das gegenwärtige Alltagsleben der Protagonist*innen in den Blick nimmt und diese durch ihren Tag begleitet. Dadurch erfahren wir sowohl von gegenwärtigen Wohnsituationen, Problemen, Gemütszuständen sowie Verlusten und Belastungen, die aus der Vergangenheit resultieren. Auch die verstorbene Charlotte und ihr ebenfalls toter Ex-Ehemann Troels melden sich aus dem Jenseits zu Wort bzw. interagieren dort miteinander.
Das alles liest sich flüssig. Die Sprache ist bildlich treffend auf den Punkt, ohne abgehoben und überladen zu sein. Zuweilen blitzt eine distanzierte Komik durch, unterschwellig ist eine Melancholie bei fast allen Beteiligten spürbar. Caroline Albertine Minor sagt selbst über ihren Roman: „Der Panzer des Hummers ist ein Gefäß, das ich mit allem gefüllt habe, was mich interessiert: Elternsein, Gleichzeitigkeit, die Vorstellungen über den Tod und das Leben danach. Der Wunsch nach einer Beziehung.“
Beim Lesen habe ich immer gewartet, dass etwas passiert, dass die Kamerafahrten auf einen Höhepunkt zusteuern, die Verbindungen der Protagonist*innen deutlicher werden (auch wenn gezeigt werden soll, dass sich die Geschwister auseinandergelebt haben), ich erfahre, warum mir die Autorin ausgerechnet diese Szenen und keine anderen zeigt. Die angesprochenen Themen haben alle Eingang gefunden und trotzdem dominiert am Ende für mich ein Gefühl der Leere und der Roman lässt mich irgendwie unzufrieden zurück.