Absoluter Pageturner, aber...

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lillywunder Avatar

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Wo ist der Unterschied zwischen einer guten Serie und einem guten Buch? Dass Miranda Cowley Heller erfolgreiche Serien wie "Six Feet Under" entwickelt hat, mag dazu beigetragen haben, dass sich mir beim Lesen immer wieder diesen Vergleich aufdrängte - aber dazu gleich mehr. Der Papierpalast ist ein stark atmosphärischer Roman über eine Frau, Elle, die mit Mann und Kindern in die malerische Seelandschaft ihrer Kindheit zurückkehrt und sich dort sowohl den Gefühlen für ihre Jugendliebe als auch den gemeinsamen traumatischen Erlebnissen stellen muss. Und die Chancen stehen gut, dass das Buch auch für euch ein absoluter Pageturner wird!

Warum? Weil Story und Spannung hier so geschickt aufgebaut werden, dass ich mich beim Lesen zügeln musste, nicht schon weiter nach vorn zu blättern. Gegenwart und Vergangenheit wechseln sich in kurzen Kapiteln ab - während in der Gegenwart quasi der Tag der Entscheidung zwischen Ehemann Peter und Jugendliebe Jonas Stunde um Stunde weiter vorrückt, werden immer wieder Szenen aus der Vergangenheit eingeblendet, welche nach und nach die dramatischen Erlebnisse in der Kindheit preisgeben. Suspense at its best. Lasst euch nicht vom romantischen Cover täuschen: die dysfunktionen Familien in diesem Roman sind Orte von Vernachlässigung, Missbrauch, Vergewaltigung, Mord und ein Hinweis darauf wäre tatsächlich wünschenswert gewesen.

Während nun aber meine Finger beim Blättern nur so durch die Seiten huschten, bekam ich zunehmend das Gefühl, dass das ganze Leid der Vergangenheit letztlich in erster Linie dazu dient, die Lovestory zwischen Elle und Jonas moralisch zu rechtfertigen und glaubhaft zu machen. Dass dafür so krasse Karten gezogen, ins Spielfeld geworfen und im weiteren Verlauf einfach unbeachtet blieben, da mittlerweile schon der nächste Paukenschlag erfolgt war, schlug mir mehr und mehr aufs Gemüt. Was mich zurück zur Ausgangsfrage bringt. Während es in einer Serie gut funktionieren mag, die Zuschauenden mit Spannungsaufbau, Schockmomenten, Cliffhangern bei der Stange zu halten und durch berührende Szenen Empathie für die Liebesgeschichte zu wecken, erwarte ich bei einem guten Roman mehr. Mehr Tiefe, mehr Bedachtheit, mehr Fokus, mehr Charakterentwicklung. Und weniger reißerische Aufmerksamkeit und Fäden, die nahezu unbemerkt ins Nichts verlaufen. Ich erwarte nicht nur gute Unterhaltung (das war es), sondern auch, dass man sich nach dem Lesen ein klein wenig "reicher" fühlt (das hat mir gefehlt). Vielleicht wäre eine Verfilmnug hier ja eher meins.