Schwimmzüge eines Lebens

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
amara5 Avatar

Von

Die erfolgreiche Drehbuchautorin Miranda Cowley Heller hat mit ihrem schriftstellerischen, bewegenden Debüt „Der Papierpalast“ nicht nur die heile Welt eingefangen, die ein Familienclan Sommer für Sommer am Cape Cod in den Back Woods erlebt, sondern zeigt auch auf eindringliche Weise die schmerzvollen Traumata und Verletzungen, die ein Menschenleben umspannen können. Was sich also im ersten Moment als leichte Lektüre für den Sommerurlaub anhört, entpuppt sich als feinfühliges und teils aufrüttelndes Psychogramm einer sensiblen und verletzten Seele und welch bewegtes Leben einer großen Entscheidung vorausging.

Seit 50 Jahren kehrt Mutter und Ich-Erzählerin Elle Bishop in das Sommer-Familienhaus Papierpalast Jahr für Jahr zurück – nun erzählt sie an nur einem Tag, an dem sie überlegt, ihren Mann Peter für ihre Jugendliebe zu verlassen, detailreich und einfühlsam ihr Leben und das ihrer ganzen Familie. Dabei verwebt Heller klug konstruiert viele chronologisch sortierte Szenen aus der Vergangenheit, bei denen zahlreiche Figuren und ihre Lebenslinien an verschiedenen Orten auftauchen, um szenisch und atmosphärisch packend auch den Plot in der Gegenwart weiterzuentwickeln. Die lebenslangen Gefühle zu Elles Jugendfreund Jonas, aber auch Gedanken zu Trauer, Schuld und Liebe spielen dabei eine tragende Rolle.

Die Autorin lässt in der fesselnden Geschichte präzise ihr ganzes Geschick als Drehbuchautorin freien Lauf und webt in das Zwischenmenschliche gekonnt viele leise und meisterhaft beschriebene Momente der Natur, das Ritual des Schwimmens und alltägliche authentisch-scharfsinnige Beobachtungen mit ein. Die Familiengeschichte von Elle, ihre Kindheit, Jugend und ihre Ehe sind sehr subtil, wahrhaftig und mit vielen poetischen Sätzen geschildert und schicken den Leser soghaft und bildgewaltig in das weit umfassende Familienepos und in Elles packende Memoiren und ihren schmerzhaften Zwiespalt zwischen zwei äußerst unterschiedlichen Männern.

Vielleicht hätte dem bemerkenswerten Debüt die ein oder andere Kürzung der sehr schwer verdaulichen Themen und vielen Nebenfiguren gut getan und doch tragen diese zu der literarischen Tiefenschärfe von Elle bei – und alle Details aus der Geschichte der Eltern und Großeltern decken transgenerationale Traumata auf und führen wie rote Fäden zur konkreten Nachvollziehbarkeit von Elles berührender Entscheidung ihres Lebens am Ende des Romans.

Ein feinfühlig-kluger Einblick mit einer reichhaltigen Prosa in ein halbes Jahrhundert unglücklicher Familiengeschichte, vieler Sommer am Cape Cod und feinsinnige Reflexionen über das Leben – so filmreif geschrieben, dass man sich auf die Verfilmung sicher freuen kann!