Der frühe Mankell: sozialkritisch

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hennie Avatar

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Was für eine angenehme Überraschung! Noch ein Buch vom 2015 zu früh verstorbenen Henning Mankell. Der große schwedische Gegenwartsautor machte mir besonders viel Lesefreude mit seinen genialen Krimis. „Der Sandmaler“, ein in Deutschland noch nicht veröffentlichter Roman, der erste Afrikaroman (in Schweden 1974 erschienen), spielt an der Westküste Afrikas in den 70er Jahren.
Elisabeth und Stefan, die gemeinsam zur Schule gegangen waren und in ihrem letzten Schuljahr eine flüchtige Beziehung miteinander hatten, treffen sich zufällig am Flughafen. Und zufällig fliegen sie ins gleiche Land nach Afrika. Die beiden jungen Leute tauchen in diese ganz andere Welt ein und reagieren sehr verschieden darauf.
Elisabeth ist noch unsicher im Auftreten, eher zurückhaltend, mitfühlend. Sie macht sich Gedanken, wie es für sie weitergehen soll in ihrem zukünftigen Leben. Für die Ideenfindung wollte sie deshalb auch den Urlaub nutzen. In ihrem Ferienort schaut sie bald hinter die Fassade der Touristenwelt. Das junge Mädchen bedrückt die Armut, in der die Einheimischen leben. Erst recht als sie den ungefähr gleichaltrigen Ndou kennenlernt. Er träumt davon eines Tages in Schweden arbeiten zu können, um seiner Familie ein besseres Leben zu bieten. Elisabeth erkennt, dass die Wirklichkeit rein gar nichts mit den Hochglanzfotos der Reisebroschüren zu tun hat. Sie ist blutjung, trotzdem versteht sie anhand einfacher Vergleiche, wie unterschiedlich die Lebenswelten ihrer beiden Völker sind.
Stefan dagen ist laut, selbstsicher und oberflächlich. Er hört Elisabeth nicht zu, wenn sie ihn auf die Mißstände in dem nicht näher benannten afrikanischen Land hinweist. Davon möchte er nichts wissen. Er trinkt Unmengen an Alkohol, verhält sich herablassend, gönnerhaft zu den Einheimischen, nimmt sich ein schwarzes Mädchen zu seinem Vergnügen mit aufs Zimmer. Er interessiert sich nicht wirklich für die Menschen in dem Urlaubsland.
Der titelgebende Sandmaler tritt nur sehr kurz in Erscheinung. Er ist jung und malt faszinierende Bilder in den Sand. Der junge Schwarze hofft auf ein zukünftiges, sozialistisches Afrika. Er schenkt Elisabeth zwei Sandbilder und weist sie darauf hin, dass sie diese nicht mitnehmen könne, „wie die Touristen es mit allem anderen machten.“ Was für eine Metapher!

Mankell war ein aufmerksamer Beobachter. Er urteilte und verurteilte nicht. Seine Sätze sprechen eine deutliche Sprache. Jeder kann sich seine Meinung bilden und sich selbst einordnen. Wer bin ich? Wie ist meine Sicht? Sehe ich die Dinge wie Elisabeth oder wie Stefan? Dieses sehr kurze Frühwerk – es sind 155 Seiten – beeindruckte mich und machte mich sehr nachdenklich. Aufgrund meiner Sozialisierung in der DDR habe ich einen besonderen Blickwinkel. Die beiden Hauptakteure scheinen mein Jahrgang zu sein. Für mich war es gar nicht möglich solche Einblicke in fremde Kulturen zu bekommen!
Der Roman wurde vom jungen Mankell Anfang der 70er Jahre geschrieben. Es war erschreckend zu lesen, wie aktuell er ist. Hat sich wirklich so wenig bewegt? Warum wollen die Menschen immer noch weg? Das er das afrikanische Land nicht namentlich nannte, war von ihm sicher so beabsichtigt.
Schön und mit einfachen Worten hat Mankell dieses frühe Werk verfaßt. „Der Sandmaler“ trägt versteckte und offene Botschaften in sich. Eine wunderbare gesellschaftskritische Geschichte. Ich habe mich gern darauf eingelassen und bin betroffen, wie wenig sich zwischen westlicher Welt und Afrika in all den Jahrzehnten geändert hat.

Ich empfehle dieses Buch mit meiner Bewertung: fünf von fünf Sternen!