Philosophie in Tibets Einöde

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Es klingt spannend: Ein von seinem Wesen her unruhig-rastloser Autor und Weltenbummler und ein in sich gekehrter fanatischer Tierfotograf machen sich gemeinsam mit zwei Weggefährten in Tibet auf die Suche nach den sehr seltenen und oft schon als ausgestorben geltenden Schneeleoparden.
Das Ergebnis könnte also ein spannendes Buch sein, doch was uns „Der Schneeleopard“ bietet, hat mit einem interessanten Roadtrip absolut gar nichts zu tun. Die äußere Handlung tritt hinter der inneren zurück. Als Leser*in erfährt man zwar, dass es in der Bergwelt Tibets sehr kalt ist, dass es Wölfe, Blauschafe, Yaks und Geier gibt und dass man viel Geduld braucht, um am Ende mit erfüllenden Eindrücken wilder Tiere heim kehren zu können, doch über die Protagonisten gibt es außer wenigen Andeutungen kaum Informationen und ein Spannungsbogen fehlt gänzlich. Stattdessen stellt das Buch erhebliche Ansprüche intellektueller und sprachlicher Art. In teilweise poetischer, manchmal jedoch auch verstiegener Sprache enthält es Landschaftsschilderungen und viele Reflexionen über den Menschen in der Natur, seine unrühmliche Rolle als Krone der Schöpfung und nicht zuletzt Gedanken zu fernöstlicher Philosophie und Religion.
Es ist schwierig zu entscheiden, ob es an der Übersetzung aus dem Französischen liegt oder ob der Autor selbst tatsächlich einen so ungewöhnlichen Wortschatz hat, der durch die Übersetzung kongenial abgebildet werden sollte, aber Wörter wie „albuminös“ erscheinen als Manieriertheit. Mit deutlicher Klarsichtigkeit beschreibt Sylvain Tesson sich selbst in folgender Weise: „Während meine Freunde die Welt durch das Fernrohr sezierten, lauerte ich auf einen Einfall – nein, schlimmer noch! -, auf ein Bonmot. In jeder freien Minute schrieb ich Aphorismen.“ (S.125) Das genau ist die Crux dieses Buches, dessen Anliegen, Achtung vor der Natur zu wecken, an sich nicht hoch genug angesiedelt werden kann. Aber in artifizieller Sprache hält der Autor dieses Anliegen für die Leser*innen auf Distanz und weckt keinerlei Empathie für das Personal. Es scheint ihm eher um wohlformulierte Sätze als um die Tiere in der grandiosen Einöde Tibets zu gehen.
Für Liebhaber*innen von meditativ-philosophischen Büchern, die sich gerne von langsam erzählten Texten mitnehmen lassen, kann „Der Schneeleopard“ einen Kontrapunkt zu Hektik, Oberflächlichkeit und Medienkonsum bieten. Wer die Erwartung hat, einen mitreißenden Roman zu lesen, wird jedoch enttäuscht werden.