Kurzweilig, humorvoll, eine gelungene Zeitreise, auch wenn Zeit relativ ist.

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
elke seifried Avatar

Von

Was haben Otto, ein Bewohner eines Seniorenheims, der unter beginnender Demenz leidet und sich in seine Erinnerungswelt flüchtet, eine Ellen, die davon träumt, Journalistin zu werden und bei der Ausstellungszeitung, ein Volontariat ergattern kann, ein Polizist Nils, der bei einem Hafenarbeiterstreik Dienst schiebt, und ein Albert Einstein, der verspätet eine Rede zur Nobelpreisverleihung halten muss, miteinander zu tun? Auf den ersten Blick vielleicht nichts, aber alle treffen sich schon wenig später im Göteborg des Jahres 1923. Denn Otto, der Waisenjunge hat sich vor vielen Jahren mit seinem Esel Bella Berühmtheit im Kinderland der Jubiläumsausstellung verschafft, Ellen berichtet von der Atmosphäre auf der Ausstellung und Nils ist für die Sicherheit zuständig und diese ist bei Albert Einstein mehr als bedroht.

Der Autorin ist es vorzüglich gelungen, mich mit auf eine Zeitreise zu nehmen. Man erfährt sowohl von den langen Vorbereitungen für die Jubiläumsausstellung, die Bedeutung für Göteborg, „Der großstädtische Eindruck wurde ein wenig gedämpft durch den Jauchegestank, der über der Gegend lag.“ und man darf natürlich nicht nur auf Esel Bella, den es wirklich gab, auch viele Ecken davon erkunden, „…in den historischen Teil, wo Männer mit langen Bärten und Frauen mit Kopftüchern vor kleinen Hütten saßen und Arbeiten aus früheren Zeiten verrichteten. (damit die Leute lächeln und stolz darauf sein konnten, wie modern sie waren.)“. Durch Ellen, die Reporterin wird zudem ein wenig auf die Rolle der Frauen eingegangen. „Die Neue Frau zu sein, das war bestimmt schrecklich anstrengend. Aber jetzt hatte die wenigstens ein Kriterium erfüllt: Sie hatte eine Arbeit als Journalistin gefunden.“, und auch die Nachkriegszeit in Deutschland, der aufkommende Antisemitismus, die Hetze auf Juden, fließen in den Roman immer wieder mit ein. >>Wir leben in merkwürdigen Zeiten, Betty. Menschen verschwinden spurlos. Solide Vermögen verdunsten über Nach. Alles ist kaputt, und eigenartige Wesen kriechen aus den Ritzen hervor.<<

„Alle interessieren sich für die Relativitätstheorie. Dass niemand sie verstand, schien keine Rolle zu spielen.“. Natürlich erhält man auch einen kleinen Einblick ins Leben von Albert Einstein. Seine Liebe zu den Frauen, die es ihm so schwer macht, treu zu sein, hat bei mir im strahlenden Bild von ihm schon einen kleinen Kratzer beim Lesen der Biografie seiner ersten Ehefrau erhalten. Auch hier bekommt man dafür wieder einige Beweise, jetzt zum zweiten Mal mit seiner Cousine Else verheiratet, zudem erfährt man von Bekannt- und Freundschaften zu Kollegen wie Niels Bohr und auch von Widersachern, wie z.B. Paul Weyland, die auch im Roman mitspielen dürfen.

Der locker, leichte Sprachstil von Marie Hermanson ist ganz nach meinem Geschmack. Besonders gut hat mir gefallen, dass die Autorin so oft mit spitzer Zunge formuliert. Da kann es bei einem Gespräch mit Albert Einstein schon mal heißen, >>Wie würde sie heute Ihre Stellung in der deutschen Wissenschaft beschreiben?<< >>Meine Stellung…<<, sagte Albert zögernd, >>ich liege in einem weichen Bett. Aber mit ein paar Läusen zwischen den Laken.<< oder eine Haushälterin stellt mit folgenden Worten richtig, was wirklich schuld am Tod war. „Der Alkohol hat ihn umgebracht. Und das viele Essen. Er aß für drei und war dick wie ein Elefant. Kein Wunder, dass das Herz sie einen Fleischkloß nicht mehr in Gang halten konnte.“ Auch mit humorvollen Szenen, wie z.B. der unverdienten Beförderung, „Was Nordfeldt als Mut ansah. War eigentlich eine Kombination aus Unaufmerksamkeit, Vorurteilen und blanker Dummheit, ein Geheimnis, das Nils vermutlich mit der Mehrzahl der sogenannten Helden dieser Welt teilte.“, sorgt sie dafür, dass man immer wieder schmunzeln darf. Da Einsteins Leben in Gefahr ist, herrscht beim Lesen auch stets eine gewisse Spannung, das ist geschickt gemacht. Die Ausdrucksweise passt perfekt zur Zeit und die Atmosphäre ist gelungen eingefangen. Ihren Roman lässt sie jeweils kapitelweise aus der Perspektive von Nils, Otto, Ellen und Albert Einstein erzählen, was anfangs rätseln lässt, aber gut gewählt ist, um Spannung zu erzeugen, und auch allen noch ein Stück näher sein zu können.

Ellen, die zwar eine Neue Frau sein möchte, dennoch toll natürlich ist, war mir von Anfang an super sympathisch und ich habe gerne mit ihr die Ausstellung erkundet. Der pfiffige Waisenjunge Otto, der mir oft leid getan hat, ist mir richtig ans Herz gewachsen und auch Nils, der anfänglich fast einen etwas tollpatschigen Eindruck macht, ist mit seiner ehrlich, aufrichtigen Art ebenfalls zum Mögen. Allessamt liebenswerte Mitspieler, die die Autorin sich hier erdacht hat und Albert Einstein ist mit seinen Ecken und Kanten sicher gut eingefangen.

Marie Hermanson hat in ihrem Roman historische Fakten gelungen in eine spannende, kurzweilige und sehr unterhaltsame Zeitreise gepackt. Was historisch belegt, was erdacht erfährt man im Nachwort. Fünf Sterne, etwas anderes kann es da bei mir nicht geben.