Der Fluch des Faust

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Faust? Goethe! Fast jeder wird wohl diese beiden zusammen bringen, selbst wenn man den „Faust“, eines bekanntesten Werke der deutschen Literatur nicht gelesen hat. Oliver Pötzsch verleiht dem Faust neues Leben. Dem Faust? Nicht ganz. Es ist Goethes Faust, es ist aber auch der Faust, der Goethe wahrscheinlich als Vorbild seiner berühmtesten Figur galt: Johann Georg Faustus, ein Gelehrter des 16. Jahrhunderts.


1. Ort und Zeit der Handlung
2. Figuren
a) Johann Georg Faust
b) Margarethe
c) Tonio
d) Wagner
3. Handlung
4. Goethes oder Pötzsch Faust und der historische Doktor Faustus
5. Erzählhaltung
6. Fazit


1. Ort und Zeit der Handlung
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Oliver Pötzsch, Journalist und Autor diverser Mittalalterromane (vor allem die Henker(stochter)-Reihe) nimmt die Leser auch mit „Der Spielmann“ einige Jahrhunderte in die Vergangenheit, ins mittelalterliche Deutschland. Knittlingen in der Pfalz ist Startort der Geschichte, die die Hauptfiguren Johann Georg Faustus und den Leser aber auch nach Venedig, Erfurt, Leipzig, Hamburg, Köln und viele weitere Orte und Städte führt.
Auch die Zeit in weiter Ferne lieft, mit seiner Hauptfigur, soviel sei vorweg genommen, erzeugt Pötzsch Nähe und fesselt.

2. Figuren
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a) Johann Georg Faustus
Als Leser lernt man Johann als jungen kennen, einen Jungen, der als dritter Sohn weder der gehätschelte Erstgeborene seiner Familie ist noch das Nesthäkchen. Dennoch ist er von seiner Mutter heiß geliebt. Sie sorgt dafür, dass er auf die Schule gehen darf. Doch das ändert sich nach dem Tod der Mutter.
Neben dem Lernen faszinieren Johann Margarete, ein gleichaltes Mädchen aus dem Ort und die Spielleiute, die alle paar Jahre Zauber nach Knittlingen bringen.
Johann lernt selber Kunststücke und verliebt sich in Maragarethe. Doch die soll einen anderen heiraten. Als die Spielleute wieder in der Stadt sind, verlässt Johann, inzwischen 16, mit Margarethe und seinem kleinen Bruder Martin den Ort. Martin und Margarethe verschwinden, Johann kehrt allein in den Ort zurück.. Margarethe taucht wieder auf, schwer traumatisiert. Sie will nichts mehr von Johann wissen. Genauso wie Johanns Vater, der nicht Johanns Erzeuger ist. Er weißt den Jungen aus der Stadt.
Johann lernt von Tonio, einem Gaukler, vieles über Wissenschaft und Horoskope, er wird selber zum Spielmann, giert nach Wissen, wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Gut und Böse. Schließlich bekommt er die Chance, doch wieder mit Margarethe zusammen zu kommen, zu studieren, ein ehrbarer Mann zu werden – und er stürzt ins Bodenlose. Ohne Margarethe kehrt er auf die Straße zurück, zieht als Gaukler durchs Land, sucht immer noch weiteres Wissen, sucht aber auch auch zu erfahren, was das Böse mit ihm und seinem Leben zu tun hat.

b) Margarethe
Margarethe ist ein gleichaltriges Mädchen aus Knittlingen, sie kommt aus besserem Hause, ist klug, ist für die damalige Zeit modern – da sie nicht nur folgsam den Anweisungen ihres Vaters (und großen Bruders) gehorcht sondern durchaus eine eigenen Willen hat.
Nach dem Zwischenfall im Wald ist sie traumatisiert, wird schließlich von einem Weinhauern geheiratet, der sich von ihr ein Kind erhofft, der sie aber schließlich ins Kloster abschiebt. Dort kommt sie wieder zu sich. Als sie Johann wieder trifft, scheint für beide eine Chance für ein gemeinsames Leben da.

c) Tonio
Der Zauberer ist von Anfang an eine starke und zugleich unheimliche Figur. Er ist nicht nur optisch „dunkel“ und „düster“. Schnell kommt beim Leser der Verdacht auf, dass er das ist, was bei Goethes Faust Mephisto, der Teufel ist: Einer, der Böses schafft, derjenige, der in Pötzsch Geschichte für die toten Kinder verantwortlich sein könnte.
Gleichzeitig scheint Tonio auch bemerkenswert klug zu sein, einer, der sein Wissen teilt, der in Johann den Schüler sieht, den er schon seit langem gesucht hat, um seine Kenntnisse über Astronomie, Astrologie, arkane Künste und vieles mehr zu teilen.

d)Wagner
In Goethes Faustgeschichte ist Wagner der Lehrling des Doktors. Und das ist er auch bei Pötzsch. Jahre nachdem Johann Margarethe erneut verloren hat, zieht Faust durch die Lande, zunächst nur von Satan, seiner Hündin, begleitet. Wagner soll hingerichtet werden, weil er mit einem anderen Mann zusammen gewesen war. Johann rettet ihn und macht ihn zu seinem Assistenten. Wagner ist lernweillig, respektiert Faust, bewundert ihn zu einem gewissen grad. Als Figur bleibt er aber – ebenso wie Margarethe – dann deutlich weniger komplex als Johann.


3. Handlung
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Im mittelalterlichen Knittlingen sind die Spielleute zu Gast. Sie faszinieren Johann, der noch Kind ist und mit der gleichaltigen Margarethe durch die Gegend tobt.
Einige Jahre später kommen die Gaukler erneut in den Ort. Kinder verschwinden. Als Johann mit Margarethe und seinem Bruder Martin Knittlingen verlässt, ist plötzlich auch Martin fort – und schließlich auch Margarethe. Panisch kehrt Johann nach Knittlingen zurück. Martin bleibt verschollen, Margarethe taucht äußerst verstört wieder auf – und weißt Johann von sich. Johanns Mutter ist gestorben, Johanns Vater knallt ihm vor den Kopf, dass er nicht Johanns Erzeuger ist – und das nun die Zeit gekommen sei, dass Johann Knittlingen verlassen soll.
Johann stößt auf Tonio, den Zauberer, der Johann schon vor Jahren erstmals fasziniert hat. Tonio nimmt den Jungen unter seiner Fittiche, lehrt ihn Astronomie, Astrologie, arkane Wissensschaften und vieles mehr. Er schenkt ihm ein Messer mit den Initialien G.d.R. – Gilles de Raie. Trotzdem lässt der Meister seinen Lehrling längst nicht in alle Karten gucken. Schließlich nimmt er Johann mit in den Wald, der junge Mann muss einen Trank zu sich nehmen, Johann erlebt nur noch Bruchstücke, eine Art Orgie möglicherweise tote Kinder, deren Leiber in den Bäumen hängen. Johann flieht. Er schließt sich schließlich einer anderen Gauklertruppe an. In Venedig nimmt er seine Studien in der Bibliothek eines geheimnisvollen Fremden wieder auf. Archimedes, der Älteste der Gauklertruppe, warnt Johann vor diesem Gönner – und wird ermordet. Johann entschließt sich, nach Margarethe zu suchen. In Heidelberg findet er sie wieder, sie ist inzwischen verheiratet, ihr Mann hat sie in ein Kloster gesteckt, da er sie für verrückt hält. Johann beginnt zu studieren, schafft es schnell, den Rektor und einen weiteren bedeutenden Gelehrten zu begeistern, freundet sich mit einem Mitstudenten an. Gemeinsam bauen sie eine Laterna Magica. Johann gelingt es, Margarethe wiederzusehen, sie für sich zu gewinnen – auch mit Hilfe der Laterna. Doch ein missgünstiger anderer Student zerstört ihr Glück, Johann tötet Margarethes Mann, auch Margarethe stirbt. Johann flieht.
Jahre später ist er wie ein Getriebener als Doktor Johann Georg Faustus unterwegs, hält Vorträge, gibt Vorstellungen, sucht und findet mit Wagner einen Assistenten. Und er sucht nach Wahrheiten über G.dR., Tonio, über das Böse


4. Goethes oder Pötzsch Faust und der historische Doktor Faustus
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Ich sage es ganz offen: Ich habe Goethes Faust nie gelesen. Auf dem Gymnasium haben wir irgendwann einmal den Faust gesehen – in der Version mit Heinrich George in der Titelrolle und Gustav Gründgens als Mephisto. Ich erinnere mich bruchstückhaft. Mir sind natürlich die Zitate in Erinnerung, „des Pudels Kern“, „der Geist, der stets verneint“.
Ich weiß: Mephisto ist der Teufel, Faust ein Gelehrter.
Tatsächlich wusste ich auch nicht, dass Goethes Faust an einen anderen, früheren Faust angelehnt war, an Johann Georg Faustus, einen Gelehrten, der zwischen 1480 und 1541 gelebt haben soll.
Mir scheint, das Pötzsch Geschichte die dieses historischen Faustus ist – und ein Stück weit auch die des Fausts von Goethe aufgreift.
Das ist Teil dessen, was den Pötzsch-Roman für mich interessant macht: Es ist die Gratwanderung zwischen einer historischen und einer erzählten/erfundenen Geschichte. Der andere Aspekt, den alle drei Versionen des Faust/us teilen, ist die Gratwanderung zwischen Gut und Böse. Was ist das Gute? Was ist das Böse? Was vereint, was trennt sie? Was ist Glück?


5. Erzählhaltung
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Ich mag es, wenn man bei einem Roman dicht an den Figuren ist. Für mich gelingt das oft am besten, wenn der Fokus auf einem Charakter bleibt – oder zumindest auf einer kleinen Zahl von Personen. Oliver Pötzsch hat sich genau dafür entschieden. Er lässt den Leser immer an der Seite von Johann bleiben. Der ist zwar nicht in jedem Moment gut, Johann macht Fehler, Johann ist jähzornig, Johann macht Fehler, Johann verletzt andere (Figuren), die den Lesern auch sympathisch sind (wie Margarethe, wie die anderen Gaukler von Johanns Truppe, wie Valentin (der Studienkollege) oder Wagner (Johanns späterer Aussistent). Trotzdem habe ich als Leserin nicht an Johann gezweifelt sondern fand ihn aufgrund seiner Schwächen eher realistisch.

6. Fazit
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„Süffig“ sagt man, wenn man einen guten Wein vor sich hat. „Süffig“ finde ich auch immer mal wieder ein richtig gutes Buch, das ich nur ungern zur Seite lege, dessen Hauptfigur(en) mich auch dann im Bann halten, wenn ich gerade nicht weiter lese. „Der Spielmann“ ist so ein Roman. Der Titel ist ein wenig irreführend. Zum einen lässt er nicht das Besondere der Hauptfigur erkennen: Johann Georg Faustus ist nicht einfach nur irgendein fiktiver Charakter. Er ist die Mischung aus einer realen historischen Figur, aus dem Legenden, die sich in den folgenden Jahrhunderten um diese Figur entsponnen, aber auch aus dem Faust von Johann Wolfgang von Goethe und einer Portion von Gedanken und Vorstellungen, die Oliver Pötzsch seinem Faustus hinzu gefügt hat. Das, was Faust besonders macht, ist seine Suche nach seinem Glück, sein Wandeln zwischen Gut und Böse, zwischen Wissen und Wut. Auch wenn „Faustus“ „der Glückliche“ heißen soll, so ist Johann kein „Glückskind“, sein Weg wirkt eher tragisch. Auch das ist sicher ein Punkt, der ihn greifbar macht, er ist kein Charakter, der auf unrealistische Weise auf dem Glückspfad unterwegs ist sondern durchaus jemand, der immer wieder stolpert.
Aus all diesen Gründen habe ich „Der Spielmann“ gern gelesen, vergebe fünf Sterne und eine Empfehlung.