Gangs of New York oder NYPD ?

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Timothy Wilde, 27 Jahre alt, arbeitet seit 10 Jahren in „Nick’s Austernkeller“ als Barmann. Er ist seit längerer Zeit heimlich in Mercy Underhill, die belesene Tochter von Reverend Thomas Underhill, verliebt. Eigentlich läuft sein Leben gar nicht schlecht, er träumt von einem Stück Land und einer Fähre und Mercy als seiner Frau.
Es ist das Jahr 1845, ein heisser, schwüler Sommer in New York. Als durch einen Grossbrand Tim’s Arbeitsstelle in Rauch aufgeht und sein Erspartes sich verflüssigt (er hatte 400 Dollar in Münzen gespart), bekommt er, durch seinen älteren Bruder Valentine Wilde, einem charmanten, aber auch ziemlich zwielichtigen Typus mit den „richtigen“ Beziehungen, eine Stelle als Polizist bei der neu gegründeten New Yorker Polizei vermittelt. Timothy ist alles andere als begeistert, ein Polizist wollte er weiss Gott nie werden.
So beginnt er seine Wachrunden im 6. Bezirk, einer „Höllengrube“. Nach ein paar Verhaftungen und einem, von der verzweifelten Mutter erwürgtem Baby, will Tim seinen Job schon schmeissen, als ihm ein 10-jähriges Mädchen in die Arme läuft. Es ist nur mit einem Nachthemd bekleidet und dieses Nachthemd ist über und über mit Blut besudelt. Als auch noch ein toter Junge im Müll gefunden wird, mit offenem Brustkorb im Zeichen eines Kreuzes und kurze Zeit später noch eine Grabstelle mit 19 Kinderleichen, ebenfalls so zugerichtet, ist Tim plötzlich in etwas Grösseres, als in Verhaftungen wegen öffentlichen Ärgernisses, verwickelt. Wird Timothy Wilde dieses Rätsel lösen können?

Der Roman wird aus der Sicht Timothys‘ erzählt (Ich-Erzähler).
Die ersten Kapitel, inkl. Prolog, muss man sich doch ziemlich aufs Lesen konzentrieren, da das ganze in Rückblenden erzählt wird. Man erfährt viel über Tim’s Leben, z.B. dass seine Eltern in einem Brand umgekommen sind und auch über seinen Bruder Valentine, den Tim eigentlich hasst, aber den er auch wiederum braucht.
Natürlich erfährt man auch ziemlich viel über den Moloch New York und ihre Einwohner. Diese Einwohner, zu der Zeit etwa 400‘000 scheinen allesamt nur ums nackte überleben gekämpft zu haben und alle scheinen sich gegenseitig gehasst zu haben. Alle scheinen auch nichts gegen eine gelegentliche Schlägerei gehabt zu haben, sogar Tim nicht. Es war ja wirklich interessant etwas über das New York dieser Zeit zu erfahren. Aber mit der Zeit wurde es auch ein wenig langatmig: Immer wieder die bösen Iren, die Masse der Iren und natürlich der böse, böse katholische Glaube mit dem Antichristen namens Papst. Dann die neugegründete Polizei, welche aus ziemlich zwielichtigen Schlägertypen zusammengewürfelt war, welche aber wenn es darauf ankam, doch zusammenhielt auch wenn sogar Iren dabei waren. Manchmal kam bei mir die Frage auf: Gab es in New York zu dieser Zeit den überhaupt Gesetze und falls ja, wer hielt sich eigentlich daran?
Dann nach zahlreichen Wendungen und Passagen, welche man von mir aus hätte weglassen können, kam dann endlich die Auflösung des Falles, welche mir persönlich auch nicht wirklich gefallen hat.
Die meisten Figuren, welche vorkamen, mochte ich auch nicht besonders, allen voran Valentine Wild, den ich sehr gerne in die Türkei verfrachtet hätte. Die einzigen Personen welche ich mochte, waren die Kinder und Mrs. Boehm und Timothy Wild, mehr oder weniger.

Fazit:
Ein historischer Kriminalroman, bei dem man viel über New York und deren Bewohner erfahren hat, wenn auch mehrheitlich nur über die ärmeren Schichten und die scheinen entweder einfach ums überleben gekämpft zu haben, korrupt gewesen zu sein oder/und sich gerne gegenseitig die Köpfe eingeschlagen zu haben, wenn nicht noch brutaleres. (-> Gangs of New York?).
Etwa hundert Seiten weniger wären mehr gewesen, mit der Zeit wurde es etwas langweilig.
Dazu eine leichte Prise „Jack the Ripper“, eine leichte Prise Sherlock Holmes und Figuren und Passagen, welche meiner Ansicht nach, doch manchmal zu modern, sprich gegenwärtig daherkamen und einer Thematik, welche auch ein kleines bisschen an Anthony Horowitz „Das Geheimnis des weissen Bandes“ erinnerte.

Was mir fehlte: ein Stadtplan des damaligen New Yorks, eine Bibliographie über die fürs Recherchieren benützte Literatur (gibt es ja leider bei mindestens 90% aller sogenannten „Historischen“ Romane nicht) und einen Anhang mit dem richtigen englischen Flash. Es wurde ja eine Deutsche Gaunersprache genommen, was aber nur logisch ist. Ach ja, die Gaunersprache… Das dauernde zurückblättern ans Ende des Buches zum Glossar der Gaunersprache könnte mit der Zeit vielleicht ein wenig nervig werden, aber zum Glück gibt es dieses Glossar.

Was mir wirklich gefallen hat: Im ganzen Buch kam wenigstens niemand vor, der mit dem Vornamen „Sherlock“ beginnt und mit dem Nachnamen „Holmes“ aufhört und oh Wunder es spielt zur Abwechslung einmal nicht in England, sondern in Amerika. Ziemlich mutig.
Und trotzdem bin ich mir nicht sicher, ob ich den zweiten Roman mit Timothy Wilde, sollte er übersetzt werden, auch lesen werde