Ehemalige Lektorin wird von der Vergangenheit eingeholt

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simaha Avatar

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In dem Buch “Der Tote aus Zimmer 12” des Autors Anthony Horowitz wird eine ehemalige Lektorin aus ihrem eher unfreiwilligen Ruhestand auf Kreta geholt und ermittelt fortan in England in einem gehobenen Hotel. Die Protagonistin Susan Ryeland hat diverse erfolgreiche Bücher lektoriert, so auch die Atticus Pünd Reihe des exzentrischen Autors Alan Conway. Nach dessen Ableben und dem Niedergang ihres Verlagshauses verschlug es sie gemeinsam mit ihrem Partner nach Kreta, wo sie ein mäßig erfolgreiches Hotel führt und gegen die Unzufriedenheit kämpft. Aus diesem Alltag gelingt es ihr zu entfliehen, nachdem das wohlhabende Ehepaar Treherne sie bittet, einen bereits geklärten Mordfall aufzuarbeiten. Dieser hat in der Gegenwart an Brisanz gewonnen, da deren jüngste Tochter nach der Lektüre des Romanes “Atticus unterwegs” nicht nur der festen Auffassung war, der gefasste Täter sei unschuldig, sondern auch verschwand. Überzeugt durch eine beträchtliche Entlohnung sowie der Möglichkeit eines erneuten Ausfluges in ihre Heimat nimmt Susan die Ermittlungen in Branlow Hall auf und muss in deren Verlauf erneut um ihr Leben fürchten. Die Betonung liegt hier auf erneut, da es sich bei dem Buch um den zweiten Band rund um Susan Ryeland handelt. Die Handlungen des ersten Buches werden angeschnitten, allerdings kann diese Fortsetzung auch alleinstehend gelesen werden, ohne dass größere Fragen entstehen.

Zunächst einmal muss die Gestaltung des Covers hervorgehoben werden. Die sich im Anflug befindende Eule auf blauem Hintergrund, beleuchtet durch einen Vollmond, ist perfekt an den Inhalt des Buches angelehnt. Nicht nur stellt es das Wappentier des Hotels dar und spielt auf die zwei Flügel von Branlow Hall an, sondern gibt auch einen subtilen Hinweis auf den Zeitpunkt des mysteriösen Mordes vor fast acht Jahren.

Das Thema des Buches, ein Mord welcher vor vielen Jahren geschah und welcher durch Parallelen zu Susans Vergangenheit geprägt ist, wird im Rahmen des Buches auf clevere Art dargelegt und nimmt den Leser von Anfang an in Bann. Der plastische Aufbau der Charaktere und die Darlegung der verschiedenen Motive, welcher der äußerst observierenden Protagonistin nicht entgehen, lassen bis zum Schluss kaum Aufschluss auf den wahren Hergang des Mordes. Der ständige Bezug zum verstorbenen Alan Conway sowie dessen Referenzen auf den wahren Täter finden Einzug in die Gegenwart, indem sein Krimi „Atticus unterwegs“ durch Susan gelesen wird und somit auch den Lesenden zugänglich ist. Anstatt gewisse Passagen eben jenes Krimis hervorzuheben, hat Anthony Horowitz zwei Kriminalromane in einem geschrieben - aus meiner Sicht eine fantastische Wahl, um den Leser abzuholen und einzubinden. Da bekannt war, dass die Figuren aus „Atticus unterwegs“ an Personen der Gegenwart angelehnt waren, konnten hier durchweg kleine Parallelen erkannt werden. Diese erfrischende Kombination sorgt dafür, dass der Krimi in meinen Augen kaum aus der Hand zu legen war und aufgrund des angenehmen Schreibstils selbst in die Ermittlungen eingetaucht werden konnte. Doch erst das Zusammensetzen aus Puzzlestücken der Vergangenheit und Gegenwart sorgt für des Rätsels Lösung. Besonders charmant waren die offensichtlichen Anspielungen auf eine ganze große Autorin im Genre der Kriminalromane: Agatha Christie. Dies ist eine Tatsache, die selbst der Protagonistin nicht entgeht. Hier nimmt sich der Autor offensichtlich nicht allzu ernst und nutzt den eigenen Krimi, um ihr Tribut zu zollen. Doch auch das Hervorheben vorhandener Logikfehler im Roman des eigensinnigen Alan Conway durch die fiktive Lektorin Susan Ryeland lockern die Lektüre auf und bringen ein wenig Raffinesse in das sonst so grauenvolle Thema Mord.

Die Figuren, insbesondere die Protagonistin, werden umfassend aufgebaut sowie mit deren Stärken, Schwächen und Besonderheiten dem Lesenden vorgestellt. Fast jede Person, die im Verlaufe der Handlung auftaucht, verfügt über ein Motiv. Doch erst im Gesamtbild erschließt sich die Frage nach Schuld und Unschuld. Im Mittelpunkt des Buches steht Susan Ryeland, welche als Charakter sehr nahbar wirkt. Ihre Unzufriedenheit auf Kreta, das Sehnen nach den goldenen Zeiten ihrer Vergangenheit sowie die Versuchungen in England, all dies in Kombination mit ihren Gedankengängen während den Ermittlungen sorgt für das Bild einer komplexen und einnehmenden Frau. Doch auch Susans liebevoller Partner, das teils kuriose Personal des Hotels, das aufgebrachte Ehepaar, die besorgten Eltern, der charmante Ehemann sowie die schroffe Schwester der Verschwundenen und noch so viel mehr Charaktere werden gut umschrieben.

“Der Tote aus Zimmer 12” ist ein fesselnder Krimi, welcher raffiniert und voller unerwarteter Wendungen einen Jahre alten Mord neu aufrollt. Anthony Horowitz bedient sich jedoch nicht nur der Gegenwart, sondern lehnt mit einem Augenzwinkern auch dramatische Handlungsstränge an die großen Kriminalromane der Agatha Christie an. Die Kombination aus mehreren Morden in zwei Werken, beide gänzlich unterschiedlich aber dennoch so ähnlich, weckt von Anfang an Neugierde. Dass sämtliche Charaktere jedoch nicht perfekt, sondern oftmals fehlerbehaftet sind, macht diese erst recht sympathisch. Das Buch ist für all jene zu empfehlen, die den Charme der großen KriminalautorInnen von früher und komplexe Fälle zu schätzen wissen. „Der Tote aus Zimmer 12“ ist der perfekte Krimi, um sich in eine prachtvolle englische Hotel-Kulisse entführen zu lassen und selber in packende Ermittlungen einzutauchen.