Der weiße Fels

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Ein heiliger weißer Fels vor der Küste Mexikos wird zum Fixpunkt in Anna Hopes neuem Roman "Der weiße Fels", aus dem Englischen übersetzt von Eva Bonné. Über vier Jahrhunderte hinweg erzählt die Autorin aus der Perspektive der Schriftstellerin, des Sängers, des Mädchens und des Leutnants eine Geschichte der Kolonialisierung, des westlichen Allmachtsdenkens, von Gewalt und Zerstörung - und von Neuanfängen.

Für die Schriftstellerin und ihre kleine Familie ist die Pilgerfahrt 2020 zu dem weißen Felsen vor San Blas die letzte gemeinsame Reise, zu Hause in England beginnt mit der Covid-19-Pandemie die Zeit der leeren Regale und gecancelten Flüge. Die indigene Gruppe der Wixárika begleitet die Pilger*innen auf ihrem Weg quer durch Mexiko.

Mehr als 50 Jahre zuvor, 1969, verschafft sich ein sehr berühmter Sänger eine Auszeit in San Blas, im Hotel Playa Hermosa. Alkohol und Drogen bestimmen seinen Tag, doch auch er gerät in den Bann des heiligen weißen Felsen.

1907 werden zwei Schwestern des Yoeme-Stamms aus ihrer Heimat verschleppt und als Zwischenetappe nach San Blas gebracht. Ihnen steht ein Leben als Sklavinnen bevor.

Ein spanischer Leutnant mit einem Faible für Astronomie sticht 1775 von eben diesem weißen Felsen aus in See, um die Kolonisierung Mexikos voranzutreiben und die Eroberung des Kontinents fortzusetzen.

Die vier Erzählstränge sind nur lose miteinander verknüpft, allein Setting und Thematik halten sie zusammen, was sich auch im Aufbau des Buches wiederspiegelt: Ausgehend von der Schriftstellerin werden, wie oben beschrieben, die Geschichten erst von der Gegenwart in die Vergangenheit gesponnen und nach einem Intermezzo aus Sicht des Felsens selbst in umgekehrter Reihenfolge zu Ende erzählt.

Für mich ist "Der weiße Fels" kein Roman im klassischen Sinn, es ist eher eine Sammlung von Storys, durch die das erzählerische Talent von Anna Hope in meinen Augen nicht wirklich zur Geltung kommt. Ich mochte ihre beiden Romane "Fünf Tage im November" und "Was wir sind" unglaublich gerne, Letzterer hat mich regelrecht umgehauen - da hat es ein neues Werk natürlich schwer. Mir hat hier einfach an vielen Stellen die Tiefe gefehlt, ich hatte das Gefühl, dass Vieles nicht ganz auserzählt, dass man den verschiedenen Perspektiven nicht gänzlich gerecht wurde. Das Buch lädt so vielmehr zum selbst recherchieren ein, beruht es doch auf Mal mehr (der Sänger ist Jim Morrison), Mal weniger (der Leutnant ist vage angelehnt an den Kapitän Juan de Ayala) auf realen Hintergründen. Insgesamt war ich eher enttäuscht von Anna Hopes neuem Roman, würde aber nicht vom Lesen abraten.