Ergreifende Reise durch die Zeit
Anna Hope nimmt uns mit auf eine Reise durch die Zeit. Sie begleitet unterschiedliche Menschen auf ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens. Da ist die Schriftstellerin, die aufgrund der sich immer mehr anbahnenden Klimakatastrophe wie paralysiert ist, die weiß, dass ihre Ehe am Ende der Reise, die sie gemeinsam mit den verschiedensten Menschen in einem kleinen Van angetreten hat, zu Ende sein wird. Da sind Entbehrungen auf der Reise, Hitze, Durst, Dreck und Verwirrung, die aber nicht mal ansatzweise mit dem Leid der Yoemen, einem indigenen Volk im heutigen Mexiko, vergleichbar sind. Menschen, die für ihre Freiheit, ihr Land, ihren Fluss gekämpft haben und Anfang des 20. Jahrhunderts zwangsdeportiert werden, was nichts anderes bedeutet als grausamen Völkermord an Kindern, Alten, Familien. Da ist der spanische Kapitänleutnant, der im späten 18. Jahrhundert scheinbar vom Wahnsinn heimgesucht wird und dennoch der Einzige ist, der die Welt verstanden, begriffen hat, was die Europäer den Ureinwohnern in ihrer Gier nach Geld und Macht antun. Und über allem ragt der Weiße Fels auf, etwas Uraltes, Heiliges, Machtvolles. Trotz des großen Leids, das der Fels über die Jahrhunderte gesehen hat, ist er unversehrt, ein Ort der Kraft, ein Ort der Anbetung und der Huldigung. Das versteht auch Jim Morrisson, der Sänger der „Doors“, als er über den schmutziggrauen Sand torkelt auf der Suche nach dem Sein, nach dem Sinn des Lebens. Eine Frage, die sich die beiden Yoemen-Mädchen nicht stellen auf ihrer Überfahrt in der Prallsonne ohne Wasser und Nahrung, wohl wissend, dass der 300 Kilometer lange Marsch bis nach Yucatan, wo sie auf Feldern schuften sollen, umbringen wird, ebenso wie unzählige Kleinkinder, Mütter und Alte. Über mehrere Jahrhunderte hinweg webt Anna Hope ein Band zwischen Menschen, die sich nie begegnen werden, und dem Weißen Fels in der Brandung. Schonungslos berichtet sie von der Tortur der Yoemen, von der geplanten Kartografierung der Bucht von San Franzisco durch Vermesser der spanischen Krone, von der Suche der Schriftstellerin, die ein Buch schreiben und den Yoemen eine Stimme geben will. Unzählige haben hier gelitten, Opfergaben gebracht, sind im Sand verblutet und über allem ragt der Weiße Fels auf, viel Elend hat er gesehen – das Schicksal des Einzelnen wird zum Schicksal von vielen, verwischt, verwässert, wird farblos, verwandelt sich in eine Fußnote der Weltgeschichte, die den Schmerz und das Unrecht nicht ansatzweise erfassen kann. Hier hat Anna Hope etwas Wunderbares geschaffen, hat Schicksale verknüpft, in klaren, einfachen Worten Leid und Schmerz eindrucksvoll geschildert, die Zerrissenheit und Verzweiflung deutlich gemacht und dennoch Hoffnung gesät mit ihren Geschichten, die offen enden.