Traumatisierte Kinder...

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an_der_see Avatar

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Um ihren Sohn Samuel vor dem Holocaust zu schützen, schickt Rachel Adler ihn 1938 mit einem Kindertransport nach England.
Leticia Cordero überlebt 1982 als Kind zusammen mit ihrem Vater als Einzige der Familie das Massaker in ihrem Heimatdorf El Mozoto. Zusammen fliehen sie in die USA.
Anita flieht 2019 mit ihrer Mutter von El Salvador in die USA. An der mexikanischen Grenze werden sie von einander getrennt.
Der Roman „Der Wind kennt meinen Namen“ von Isabel Allende erzählt die Geschichte dieser drei Kinder. Die zu verschiedenen Zeiten ihrem Umfeld, ihrer Familie, ihrem Leben entrissen wurden. Aufbrechen mussten in die Ungewissheit, von ihren Eltern getrennt, von allem entfernt was sie bisher kannten, was ihr Leben ausgemacht hat. Kinder wie es sie zu Hundertausenden in dieser Welt gibt, deren Schicksal oft nur eine kurze Erwähnung ist, wenn überhaupt, die untergehen in der Masse, ums Überleben kämpfen. Oft ihr ganzes Leben. Und dann gibt es Menschen wie Selena, die diesen Kindern eine Stimme geben, sich um sie kümmern, für sie kämpfen, die ihr Leben damit verbringen zu helfen, zu unterstützen, ein Überleben ermöglichen. Wenn Isabel Allende sich eines solchen Themas annimmt, kann man gewiss sein, dass sie es auf eine Art tut, die ich bei kaum einer anderen Schriftstellerin, einem anderen Schriftsteller jemals erlebt habe. Sie schreibt über die Schrecken des Lebens, den Widrigkeiten der Zeit in allen Facetten die menschliches Fühlen erlaubt. So kommt es mir vor. Bei ihr ist nichts schwarz oder weiß, gut oder böse. Sie lotet aus, sie dreht die Empfindungen mit einer Herzenswärme die es ermöglicht über die Schlimmsten Zustände und Situationen zu lesen. Sie geht hinein wo es schmerzt, aber sie verletzt mit ihren Worten nicht noch mehr. Ganz im Gegenteil. Sie spendet Hoffnung, tröstet, klärt auf, hilft, lässt einen nicht alleine mit dem Gelesenen. So auch in „Der Wind kennt meinen Namen“. Die Schicksale von Samuel, Leticia und Anita gehen zu Herzen. Schockieren um so mehr, weil man weiß, dass diese Schicksale keine Ausnahme sind. So finden in diesem Roman auch die helfenden Menschen Platz. Das Paar, das Samuel damals bei sich aufgenommen hat. Selena und Frank, die sich für die Kinder einsetzen, die an der mexikanischen Grenze von ihren Eltern getrennt wurden. Nadine, die spätere Frau von Samuel, die ihn mit ihrer Lebenslust durchs Leben führte und mehr für andere tat, als Samuel zu ihren Lebzeiten ahnte. Es sind Menschen wie diese, die das Leid erträglich machen. Die hinschauen, die Kraft zum Handeln aufbringen, die eine Mission in ihrem Leben sehen, die nicht jammern, sondern anpacken. Denn jedes Kind, das in seiner Kindheit traumatisiert wurde, wächst zu einem Erwachsenen heran, einem traumatisierten Erwachsenen und kaum jemand, der nicht Ähnliches erlebt hat, weiß, wie schwer es sein kann, mit einem solchen Schicksal zu leben, ohne daran zu verzagen und sich diesem Schicksal zu erlegen. Und es sind in dieser Welt noch immer hauptsächlich die Kinder und Frauen, die unterdrückt und missbraucht werden, die ausgeliefert sind. So steht dieses Thema auch zentral in „Der Wind kennt meinen Namen“. Erschütternd einmal mehr darüber zu lesen und zu akzeptieren, dass wir uns was dieses Thema angeht, kaum vorwärts bewegt haben, dass es mir eher so vorkommt, als wenn wir auf einem Laufband stünden, das auf Rückwärtsgang geschaltet ist, wir aber versuchen, weiter voran zu kommen. Es funktioniert nicht, die Kräfte stehen dem entgegen. Es braucht mehr Bücher wie dieses, die aufklären und aufzeigen.
Ein Roman von Isabel Allende ohne eine sich entwickelnde Liebe gibt es nicht. So dürfen wir auch in „Der Wind kennt meinen Namen“ eine solche miterleben. Denn wie soll man das Leid dieser Welt ohne Liebe ertragen? Ich wüsste nicht wie. Es braucht wenigstens einen Menschen, der diese Gefühle in uns weckt. Dabei heißt es dann aber auch, sich selber nicht verlieren. Selena zeigt uns, wie schnell man sich als Frau verlieren könnte, wenn man den Vorstellungen von immer noch viel zu vielen Männern folgen würde und wie wichtig Obacht und das eigene Gespür sind.
Wie bei allen Büchern von Isabel Allende hatte ich auch bei diesem wieder das Gefühl, als lauschte ich den Erzählungen einer sehr weisen, alten, in einem Schaukelstuhl am Kamin sitzenden Frau. Ihre Erzählweise hat für mich etwas sehr Tröstendes und ich finde es geradezu phänomenal wie sie die Geschichte von Samuel hin zu Leticia und Anita spinnt, wie sie die Schicksale von diesen drei Menschen zusammen führt.
Die Figuren in Isabel Allendes Büchern haben Ecken und Kanten, sie sind menschlich, sie machen Fehler, sie lieben, sie leiden, sie trösten, sie trauern, sie helfen, sie fordern ein, sie entwickeln sich. Die Figuren haben für mich Größe und Tiefe, sie sind vielschichtig. Sie leben. Für mich macht jedes Buch von Isabel Allende, das Leben lebenswerter und reicher, gerade weil sie Themen anspricht, die viele ignorieren und nicht wahrhaben wollen. Oder können...