Konfrontation mit 'Deutscher Vergangenheit'

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„Deutsches Haus“, so heißt die Gaststätte, die Ludwig und Edith Bruhns betreiben. Ihre Wohnung, in der sie mit den erwachsenen Töchtern Eva und Annegret sowie dem noch zur Schule gehenden 'Nesthäkchen' Stefan, wohnen, liegt über der Gaststätte. Eva ist die Hauptprotagonistin in Annette Hess' Roman. Sie arbeitet als Dolmetscherin und übersetzt normalerweise Wirtschafts-Verträge. Doch nun wird sie plötzlich und unerwartet, im Dezember 1963, gebeten, Zeugenaussagen für den Auschwitz-Prozess zu übersetzen. Eva hört zum ersten Mal von diesem Ort. Obwohl ihre Eltern mit diesem Auftrag nicht einverstanden sind, stellt sie sich dieser Herausforderung.

Schon beim - und insbesondere nach - dem Lesen der Leseprobe packt einen die Neugier und die Wissbegierde, was eventuell einzelne Familienmitglieder, oder aber auch die Familie von Evas Verlobten mit dieser „Deutschen Vergangenheit“ zu tun haben. Wer hat wie viel 'Dreck am Stecken'? Man überlegt sich, woher kommt die Rückenverletzung von Ludwig Bruhns, der als Aktiver im 2. Weltkrieg war?

Die Konfrontation mit den Geschehnissen in Auschwitz macht beim Lesen betroffen. Vor allem, wenn man in der Leseprobe die ersten Übersetzungsversuche von Eva miterlebt. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie schockierend dieses Gehörte auf sie wirkt, vor allem, weil es absolute neue Fakten sind, die sie hier erfährt.
Das Buch wird kein Lesevergnügen sein, da es heftiges Thema aufgreift, das unter die Haut geht und ins Herz sticht. Es ist nicht nur die historische, sachliche, faktische Aufarbeitung dieser Gräueltaten. Im Vordergrund werden wohl die Aussagen stehen, die die Menschen machen, wie sie sie gesehen, erlebt haben. Die subjektive Wahrnehmung wird an die Nieren gehen.
Mich macht der Roman auch deshalb neugierig, weil es mich interessiert, ob dieses „Ja“ zum Prozess ein „Nein“ zur Familie wird, gerade weil diese besondere Arbeit das Leben von Eva zutiefst verändern wird.

Der Schreibstil ist schlicht. Kurze Sätze bestimmen die Erzählung. Sie lässt sich einfach lesen; somit kann man sich voll und ganz auf die Erzählung einlassen. Immer wieder gibt es Einzelheiten, die quasi ein 'offenes Ende' darstellen, so dass man erstmal mit einem 'Fragezeichen', einem 'Warum' alleingelassen wird, was einem zum Weiterlesen bewegt.

Das Cover, das eine junge, dezent-gekleidete junge Frau mit Tasche und Akten in den Händen zeigt, ist schlicht und lässt nicht erahnen, welches Thema hier aufgegriffen wird.
Der Titel „Deutsches Haus“ hat mich nicht gleich neugierig gemacht, da ich gleich an was Politisches denken musste. Erst nach dem Lesen empfand ich, das der Titel wohlüberlegt so gewählt worden ist. Steht „Deutsches Haus“ vielleicht für 'deutsches Land' und alles was hier geschehen ist und geschieht!?

Das Buch ist absolut lesenswert und ich denke, dass es sich auch gut als Leselektüre für höhere Schulklassen eignen würde.
Mal sehen, ob das Buch auch verfilmt wird!