Bin regelrecht durch die Zeilen geflogen – tolle Sprache!

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lia48 Avatar

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„Ich möchte gerne mit einem anderen Menschen reden, selber höre ich ja meine Stimme und meine Worte, aber heute kann ich es nicht ertragen, dass sie ungehört zu mir zurückkommen (...).“

INHALT:
Heleen redet eines Nachts in einer Nervenklinik auf eine Nachtschwester ein.
Sie klagt über ihre Bettnachbarin, die ohne Punkt und Komma spricht.
Anschließend erzählt sie der Angestellten ihre eigene Lebensgeschichte:
Von der bedrückenden Zeit bei den protestantischen Eltern – als älteste Schwester von zehn Kindern hatte sie es nicht immer einfach und musste früh Verantwortung übernehmen.
Durch Heleens gesellschaftlichen Aufstieg entwickelt sich ihr Blick für Ästhetik und Schönheit, auf den sie viel Wert legt.
Sie führt unglückliche Beziehungen, Eifersucht und Ängste spielen u. a. eine Rolle.
Und schließlich muss sie sich nach dem Tod ihrer Eltern auch noch um ihre jüngste Schwester kümmern…


MEINUNG:
Zunächst fand ich es kurios, wie sich Heleen über die ständig quasselnde Bettnachbarin aufregt, aber gleichzeitig in Monologen pausenlos auf die Nachtschwester einredet.
Zugegeben, durch die monologische Schreibweise, wirkt der Schreibstil anfangs etwas speziell. Wenn man sich aber darauf einlässt, dann kann genau diese Art des Erzählens einen besonderen Reiz beim Lesen ausmachen. Außerdem wirkte die Protagonistin dadurch auf mich sehr authentisch, ganz, als würde sie sich alles von der Seele reden wollen.
Ich jedenfalls war von Anfang an sehr begeistert von Marianne Philips‘ Schreibweise. Es waren so viele wunderschöne, weise, melancholische zum Nachdenken anregende und berührende Sätze dabei, dass ich nur so durch die Zeilen geflogen bin, aber mir immer wieder besondere Stellen herausschreiben wollte.

Die Protagonistin musste schon früh viel Verantwortung für sich und ihre Familie übernehmen. Ihr blieb wenig Zeit, um Kind sein zu dürfen. Die Geschwister verlangten nach Nahrung und die Windeln mussten gewaschen werden. Mit 13 Jahren muss Heleen bereits arbeiten gehen und sich um die neugeborene Schwester kümmern.
Ich konnte sehr mit ihr mitfühlen und sie tat mir immer wieder leid.
Und wenn sie sich in unglückliche Beziehungen stürzte, hätte ich sie manchmal gerne geschüttelt.

Das Ende war mir leider etwas zu vorhersehbar. Vielleicht hätte eine Kleinigkeit im Klappentext auch anders formuliert werden können, um den Verlauf noch spannender zu gestalten.

FAZIT: Trotz dem etwas zu vorhersehbaren Ende, konnte mich das Buch insgesamt gut unterhalten. Wer sich für psychische Prozesse bei den Figuren interessiert, dem könnte die Lektüre durchaus zusagen. Den Schreibstil empfand ich mit seinen Monologen und vielen wundervollen Sätzen, als besonders schön. Trotzdem rate ich, vorher in das Buch hineinzulesen, ob einem der Stil behagt. Dann gibt es nämlich eine Leseempfehlung und 4/5 Sterne!

ZUR AUTORIN:
Marianne Philips hat in diesem Roman autobiografische Anteile mit einfließen lassen. Sie wuchs mit vielen Geschwistern heran, ihr war das ärmliche Leben von Arbeiterfamilien bekannt und sie musste früh selbst Geld verdienen. Sie selbst nahm später Psychoanalyse in Anspruch.
Als „Die Beichte einer Nacht“ 1930 veröffentlicht wurde, wurden psychische Probleme in Romanen vorher kaum thematisiert, schon gar nicht von Frauen.
Dadurch war sie eine der Ersten und war somit ihrer Zeit voraus.