Ein Monolog

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miro76 Avatar

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Heleen befindet sich in der Hölle. Oder genauer: in einer Nervenheilanstalt in den 30er Jahren. Das bedeutet, sie liegt in einem Schlafsaal im Bett, die Fenster sind vergittert, Ausgang wird nicht gestattet. Die Frau neben ihr spricht die ganze Zeit unzusammenhängende Sätze. Sie selbst spricht seit Wochen nicht.

Doch eines Nachts beschließt sie ihr Schweigen zu brechen, setzt sich zur Nachtschwester an den Tisch und beginnt zu erzählen.

Diesen Monolog dürfen wir hier lesen, denn die Nachtschwester antwortet ihr nicht. Sie gibt nicht einmal zu erkennen, ob sie zuhört, doch Heleen lässt sich nicht aus dem Konzept bringe.

So erfahren wir, wie früh sie ihre Kindheit aufgeben musste, weil ihre Mutter mit zehn Kindern schlichtweg überfordert war. Da musste die Älteste schon mal einige Aufgaben übernehmen. Als der Vater einen Arbeitsunfall hat, wird Heleen mit ihren 13 Jahren in Stellung geschickt. Schnell erkennt sie, dass sich ihr Leben niemals ändern wird, wenn sie es nicht selbst in die Hand nimmt.

Sie zieht hinaus in die Welt und bringt es weit. Das Glück ist auf ihrer Seite, denn sie findet Hilfe, wenn sie Hilfe braucht. Sie hat Talent, ihre Schönheit kommt ihr zugute und sie ist sich ihres Wertes bewusst.

Aber sie ist auch einsam und in der Liebe hat sie weniger Glück. Nach einer gescheiterten Ehe findet sie doch die Liebe, doch diese zweite Ehe bleibt kinderlos. Die Familie wird von Heleens jüngster Schwester komplettiert, doch Heleen verkraftet es kaum zu sehen, wie sie altert, während ihre Schwester aufblüht.

Langsam aber sicher gleitet sie in eine Depression, die ihre Familie komplett zerstört und sie schließlich ins Irrenhaus bringt.

Dieser Roman von Marianne Philipps trägt teilweise autobiografische Züge und hat damals für schwere Kritik gesorgt. Depression gab es wohl noch nicht und so fehlte wahrscheinlich das Verständnis für die Nöte der Protagonistin.

Auch der narrative Stil ist etwas gewöhnungsbedürftig. Anfangs ist die Sprache sehr einfach gehalten. Mit dem Fortschreiten der Geschichte wird sie komplexer. So spiegelt die Sprache die Entwicklung der Protagonistin wieder, die kaum Schulbildung erhalten hat, sich aber Zeit ihres Lebens weiterbildete.

Die Lebensgeschichte von Heleen ist berührend und interessant. Ich bin ihr gerne gefolgt, durch ihre erfolgreichen Jahre. Aber ihren Weg in die Dunkelheit konnte ich nicht ganz nachvollziehen. Sie war eine kämpferische, junge Frau und plötzlich scheint sie komplett in ihrer Ehe gefangen zu sein. Hätte sie es geschafft, ihre Zeit und Energie anderweitig zu kanalisieren, wäre es wahrscheinlich nicht so weit gekommen. Aber es war wohl undenkbar, dass eine verheiratete Frau ihr Geld selbst verdient.

Das Buch zeigt auf jeden Fall eine interessante Persönlichkeit, deren Eskalation sicher vermeidbar gewesen wäre. Das Drama in der Geschichte zieht sich zwar wie ein roter Faden durch die Erzählung und soll Spannung aufbauen. Ich fand allerdings die Lebensgeschichte interessanter als die Tragödie, die alles beschließt. Daher vergebe ich vier Sterne für einen Roman, der es verdient ein echter Klassiker zu werden.