Unausgeschöpftes Potential

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mandarinemandoline Avatar

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Meine Meinung zu diesem Werk ist zwiegespalten. Als jemand, der sich von Haus aus für Kunstgeschichte und die Geheimnisse hinter den Bildern begeistern kann, oder für Menschen, die eine Faszination für die Verwicklungen zwischen dem französischen Hof und den Medici zu dieser Zeit hegen, ist besonders die erste Hälfte unterhaltsam. Für alle anderen wird es vermutlich da schon eher schwierig. Besonders das letzte Drittel hat seine Schwächen, die dann vom letzten Kapitel und dem Schluss zumindest ansatzweise wieder gutgemacht werden.

Aber von Anfang an. Das Buch beginnt im Heute, ein Ausflug des Protagonisten, dem namenlosen Autor, löst einen Flashback bei eben diesem aus. Es wird angedeutet, dass etwas Traumatisierendes geschehen sein muss: „Es ist ein ehernes Gesetz: Unglück zieht an. Nach dem ersten Schreck will man sofort die Gründe erforschen, die dazu geführt haben.“ (S. 5) So beginnt er die Geschehnisse von damals zu rekapitulieren.

Die Erzählung des Autor beginnt mit einer Lebenskrise: „Ich habe einfach keine brennende Fragen mehr an die Welt […] Alles ödet mich an.“ (S. 16) Während dieser Schreibblockade sichtet er lustlos altes Archivmaterial und stößt dabei auf einen Leserbrief, in dem der Urheber seinen ersten Roman zerreisst. In diesem hat der Autor die Geschichte hinter dem Louvre-Gemälde Gabrielle d’Estrees und eine ihrer Schwestern verarbeitet. Diesen Brief hatte der Autor nie beantwortet. Dies nachholend, erhielt er schließlich eine Antwort von der Nichte des mittlerweile verstorbenen Verfassers, durch welche sich die Familie als Nachfahren von Henriette d’Entragues, eine der Hauptpersonen auf dem Gemälde, herausstellt. Er beschließt auf gut Glück zum Anwesen der Familie nach Frankreich zu fahren, um dem Geheimnis des Bildes erneut auf den Grund zu gehen.

Der starker Prolog hat mich eigentlich gleich gepackt und ich war gespannt auf das Kommende, welches aus der Ich-Perspektive eines Autors erzählt wird, dessen Namen nicht genannt wird und an die Geschichte von Wolfram Fleischhauers Erstling, Die Purpurlinie, anknüpft. Diesen habe ich allerdings nicht gelesen, aber Die Dritte Frau besitzt eine unabhängige Handlung, der man ohne Vorkenntnisse folgen kann.

Die Parallelen mit Fleischhauer sind auffallend: Wie der Protagonist dreht sich sein Erstling ebenfalls um besagtes Louvre-Gemälde (interessanterweise stamm dieses ebenfalls von einem anonym geblieben Maler, wie der Protagonist dieser Geschichte). In wieweit es inhaltliche Übereinstimmungen gibt, kann ich leider nicht sagen, da ich wie gesagt Die Purpurlinie nicht gelesen habe, das werde ich aber auf jeden Fall noch nachholen. Fleischhauer verwischt die Grenzen zwischen Realität und Fiktion: Geht man davon aus, dass die Geschichte, die Fleischhauer hier in Die Dritte Frau erzählt, wiederum die Wiedergabe der Ereignisse des namenlosen Autors ist, ist nicht unbedingt weit hergeholt, wenn man sich als Leser fragt, inwieweit man gerade das Ergebnis dieser Wiedergabe in den Händen hält. Zudem werden tatsächlich existierende Quellen angeführt. Auch die Beschreibungen des Gefühlsachterbahn während einer Recherche sowie der Einblick in die Welt von Buchautoren und Verlegerschaft basieren sicherlich im Kern auf tatsächliche Erfahrungen und lassen sich darum auch gut lesen.

Der namenloser Autor selbst bleibt jedoch farblos und fast langweilig. Er steckt in einer Krise und kommt irgendwie nicht richtig aus dem Tritt. Man weiß nicht, ob man ihn bemitleiden oder schütteln soll. Zudem vermischt er in seiner Erzählung das Wissen von damals und heute, zB an der Stelle, als er Camille zum ersten Mal trifft. Hier erwähnt er, dass der Bruder die Tür öffnet, obwohl er das zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen konnte. Das ist etwas irritierend.

Die Abbildungen von Originaldokumenten sind lieblos zwischen den Text geklatscht,
was den Lesefluss stört. Da es nicht sehr viele sind und diese auch für das Verständnis der Handlung nicht notwendig sind, hätte man diese auch einfach in einen Anhang am Schluss packen können. Die Interpretation des Gemäldes, verteilt sich dabei in Einschüben über die ganze Geschichte hinweg, was eigentlich ganz charmant gelöst ist. Aber es sind teilweise so viele Details und Informationen, dass es mir nicht immer leicht fiel, am bisherigen anzuknüpfen. Eine Zeitleiste mit den historischen Vorkommnissen wäre hilfreich gewesen, um einfacher folgen zu können. Auch die politischen Zusammenhänge werden für mich als Laien zu wenig erklärt. Zum Beispiel Seite 83 - warum geht ein Schock durch Europa?

Der Rest der Geschichte wird leider im Verlauf immer schwächer. Zwischendrin glaubt ich, einen Hauch von Feminismus durch die Erzählung schimmern zu sehen, was kurz wieder mein Interesse weckte. Sehr kurz. Camille kommt zu Beginn als starke Frau daher, auch ihre Ausführungen zur Bedeutung des Bildes und der Dargestellten besaß einen spannenden Ansatz, der ja tatsächlich in der Historie oft keine Rolle spielt und was sie auch dem namenlosen Autor vorwarf: „Gabrielles Gefühlsleben. […] Wer war sie wirklich, jenseits der politischen Marionette, der Hof- und Machthure, als die man sie immer gesehen hatte, so wie Henriette später in noch weitaus größerem Maße?“ Dieses Gefühlsleben spielt im weiteren Verlauf von Fleischhauers Roman aber auch keine wesentliche Rolle mehr. Eine weitere Parallele.

Mein wiederaufkeimendes Interesse schlug um in Wissen wollen, worauf die Erzählung eigentlich hinaus will: Ich schwankte zwischen dem klassischen „Männer!“-Kopfschütteln und nicht nachvollziehen können, welches Frauenbild Fleischhauer hier eigentlich darstellen will. Das stieß mir – als jemand, der sich als nicht besonders feministisch betrachtet – teilweise doch recht übel auf. Denn diese vermeintlich starke Frau, die sich nimmt was sie will, manifestiert sich ziemlich plump ausgerechnet in Sex ohne Kondom gegen den Wunsch des Partners. Eine Botschaft die ich problematisch finde und nicht weiter aufgearbeitet wird. Also was soll das? Because sex sells? Darüber hinaus bleibt die Beschreibung der weiteren Affäre oberflächlich, verleiht auch dem Protagonisten nicht wirklich mehr Tiefe, auch wenn er diese Verbindung noch so sehr zerdenkt. Am Ende wird diese Oberflächlichkeit vielleicht nachvollziehbar, aber der Sinn dieser Sex-ohne-Kondom-Szene erschließt sich mir dennoch nicht.

Das Frauenbild – egal ob durch die auf dem Gemälde dargestellten Gabrielle und Henriette oder durch die Nachfahrin Camille – bleibt oberflächlich. Dabei fand ich den Ansatz wirklich spannend und es ist schade, dass dieser nicht intensiver verfolgt wurde.

Leider wirkt auf mich auch die dramatische Wendung sehr konstruiert und übertrieben; Camilles Verhalten passt nicht zu dem, wie sie zuvor beschrieben sowie zu den Aussagen und Ansichten, die ihr in den Mund gelegt wurden. Denn Camillas Monologe finde ich sprachlich eindrucksvoller als die des Autors, besonders im letzten Kapitel hat mir ihre Ausführung gut gefallen.

Das letztes Treffen der beiden ist nochmal stark, aber auch erschütternd, voll gefasster Resignation. Folgenden Aussage des Protagonisten fasst es sehr gut zusammen, wie ich finde: „Da ist sonst nichts […] Ich will es auch nicht anders.“ (S. 214) Es wäre eine deprimierende Geschichte, wenn nicht die letzten drei Sätze im Buch wären, die seinen 268 Seiten etwas an Sinn zurückgeben, den ich zuvor aus den Augen verloren habe. Es sind auch diese drei Sätze und der starke letzte Monolog von Camille, welche mich am Ende milder stimmten und mich dadurch zwiegespalten zurückließen.