Aber selbstverständlich machen Se nur. Und was ist jetzt?

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mysty Avatar

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In Katharina Münks Roman "Die Eisläuferin"  fällte der Regierungschefin eines westlichen Industriestaates auf einer geheimen, privaten Russlandreise das Bahnhofschild von Omsk auf den Kopf. Nach dem Erwachen aus dem Koma wird klar, dass sie sich weder an die letzten zwanzig Jahre erinnern kann, noch in der Lage ist neue Ereignisse als Erinnerung abzuspeichern. Da keine Alternativkandidaten für das Amt zu Verfügung stehen, entschließt sich ein kleiner Kreis Eingeweihter, sie trotz Amnesie im Amt zu halten. Alles ist besser, als die Macht an die Opposition zu verlieren.

Jeden Morgen wird der Regierungschefin nun also eine Zusammenfassung der letzten zwanzig Jahre und des Vortages geliefert. Ausserdem wird sie für die jeweiligen planbaren Auftritte gebrieft. Doch zum Leidwesen ihrer Parteikollegen begibt sich die Regierungschefin immer wieder in ungeplante Situationen mit dem Volk und der Presse. Dies steigert sich noch, als ihr Therapeut ihr deutlich macht, dass sie emtotionale Verknüpfungen zu den Ereignissen braucht, wenn sie sich erinnern möchte. Der Versuch emotionale Verknüpfungen herzustellen sorgt für ungewöhnliche Momente und treibt die eingeweihten Personen fast in den Wahnsinn. Beim Volk jedeoch kommt die "neue" Regierungschefin wahnsinnig gut an.

 In Katharina Münks zweitem Roman geht es ganz klar um Angela Merkel, die Bundesregierung und die aktuellen Regierungschefs anderer Länder. Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass fast alle Personen im Buch nur als Amtspersonen ohne Namen auftauchen und insgesamt der Schreibstil sehr nüchtern ist, lässt sich der Roman sehr leicht lesen. Allerdings wirkt die Geschichte dadurch manchmal langatmig bzw. etwas fade. Als Leser wird man so außerdem eher auf Distanz zu den einzelnen Personen gehalten.

Manche Dialoge bzw. Aussagen sind sehr abgehoben, andere beschreiben mit vielen Worten wenig. Vielleicht ist dies aber auch ein Markenzzeichen vieler politischer Dialoge. Die "Sprachart" der Regierungschefin wechselt im Buch hin und wieder. Mal spricht sie formvollendet, dann sagt sie wieder sowas wie: "Kommen Se mit" "...mache Se nur.."etc. Dies soll vermutlich die neue Nähe zum Volk und das unkonventionelle Verhalten der Protagonistin unterstreichen, wirkt aber eher übertrieben und unecht, vorallem, wenn sie in ein und denselbem Dialog vom "Sie" zum "Se" wechselt.

Dennoch hat das Buch einige Stellen zum schmunzeln und bietet einen ungewöhnlichen Blick auf den Politikzirkus. Das Ende ist gelungen, tritt aber an einer Stelle der Geschichte ein, an der der Leser nicht (so plötzlich) damit rechnet. Die Frage, ob du Amnesie "bleibenden Schaden" hinterlässt, bleibt dabei unbeantwortet.

Es fällt mir etwas schwer, dieses Buch zu bewerten. Ich fühlte mich durch die Geschichte insgesamt schon gut unterhalten, allerdings mit Einschränkungen.

So weiß ich immer noch nicht, was die Zitate aus "Krieg und Frieden" mir sagen sollen, wenn sie denn etwas zu bedeuten haben. Vielleicht stehe aber auch nur ich hier auf dem Schlauch!? Zum anderen finde ich einiges "unstimmig"-handelt denn z.B. die Regierungschefin nicht schon ungewöhnlich und emotional, als sie sich auf die geheime Reise begibt? Ist sie nicht schon "merkwürdig" und schwer zu kontrollieren, als sie auf der Fähre auf eine Gruppe von Menschen zu geht, um diese zu begrüßen? Aber das sind nur kleine Kritikpunkte.

Insgesamt finde ich, dass die Amnesie der Regierungschefin weniger durcheinander bringt, als ich erwartet hatte. Für die Politikerebene sind es wahrscheinlich gravierende Ereignisse, für mich als Bürger und Leser ändert sich aber nicht wirklich etwas.

Und damit stellt sich mir dann auch die letzte, wichtigste Frage: Was möchte die Autorin bzw. dieses Buch erreichen? Ist es als Kritik gedacht, dann wurde dies meiner Meinung nach nicht genug herausgearbeitet. Soll es einen lustigen Blick auf den "Regierungswahn" der Politiker werfen, dann finde ich es an vielen Stellen zu unlustig. So richtig kann ich diese Frage also nicht beantworten.

 

Trotzallem, dieses Buch ist ein gutes "Zwischendurch"-Buch, das halbwegs politische Menschen für kurze Zeit unterhalten wird. Da es emotional jedoch nur am Rande berührt, bleibt abzuwarten, wie lange es mir im Gedächtnis bleibt. Vielleicht hätte man mehr daraus machen können....