Keine leichte Pirouette

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“Du bist ein Kind auf dünnem Eis” sang Ulla Meinecke vor über zwanzig Jahren in ihrem Hit “Tänzerin”. Und so scheint es auch der Heldin aus Katharina Müncks Roman zu gehen. Nicht umsonst trägt er den Titel “Die Eisläuferin”. Wer sich hinter diesem Synonym verbirgt, lässt sich unschwer erkennen. Fast täglich kann man derzeit “die Mundwinkel zum Kinn” in der Tagespresse betrachten. Die Schlagzeilen die dazu geliefert werden, finden sich in ähnlicher Form auch im Roman. Was die Frage offenlegt: Wer regiert uns eigentlich gerade?

 

Die Regierungschefin eines bedeutenden westeuropäischen Landes beschließt mit ihrem Mann einige Tage Urlaub abseits des Protokolls zu machen. Die beiden fliehen aus ihrem offiziellen Ferienhaus in Spanien um eine Reise mit der transsibirischen Eisenbahn anzutreten. Am zweiten Tag der heimlichen Reise ereignet sich ein unvorhergesehener Zwischenfall. Die Regierungschefin vertritt sich auf dem Bahnhof von Omsk die Beine als ihr das Bahnhofsschild auf den Kopf fällt und ihre Erinnerungen an die letzten zwanzig Jahre auslöscht. Beim Erwachen in einem Moskauer Krankenhaus, eine Woche nach dem “Schilderfall“, fragt sie ihren Mann nach dem Aufbruch Ost und ihrem Wahlkreis. Der habe sich nun ein wenig erweitert, lautet die ebenso vorsichtige wie verzweifelte Antwort.

 

Die Grundidee ist nicht neu, aber in ihrer Einfachheit immer wieder für eine Geschichte gut. Der Gedächtnisverlust einer Person und die daraus resultierenden, mal komischen, mal tragischen Verwicklungen. In diesem Fall ein allseits bekannte Politikerin, die von einem Tag auf den anderen ihr Gedächtnis verliert und dieses nur schwer rekonstruieren kann. Denn die Verletzungen des Gehirns verhindern die Festsetzung neu antrainierten Wissens. Der Regierungsstab muss die Chefin also jeden Morgen neu “auf die Schiene setzen”.

 

Was lustig klingt, ist allerdings nicht allzu spritzig zu lesen. Der Grundton des Buches ist melancholisch. Die Handlungsentwicklung langsam bis schwerfällig. Bis das schicksalhafte Schild endlich fällt, begleitet man in gepflegter Langeweile die Flucht des fiktiven (und doch allzu realen) Bundeskanzlerpaares. Was von der Idee her zu einer spannungsreichen und flotten Umsetzung passen würde, liest sich in seiner Eintönigkeit geradezu einschläfernd. Eine einzige Stelle regte mich zum schmunzeln an: “Ihr Blick fiel auf eine Gruppe junger Mütter mit Kindern, die auf jemanden zu warten schienen. Eine wunderbare Kulisse war das, fand sie, hier hatte sich jemand Mühe gegeben, und sie lief mit ausgestreckter Hand auf sie zu. Ihr Mann stürzte von hinten auf sie zu und konnte sie in letzter Minute zurückhalten. Es war ein Aussetzer gewesen, irgendjemand hatte plötzlich die CD “Nähe demonstrieren” eingelegt, und sie war einfach losgelaufen.”

 

Passagen wie diese lassen das satirische Talent der Autorin aufleuchten. Feine Seitenhiebe die den politischen Betrieb entlarven. Leider sind diese Stellen selten. Münck legt mehr Wert auf das seelische Befinden ihrer Hauptprotagonistin, was sich an manchen Stellen wie verkappte Wahlpropaganda ausmacht. Die Regierungschefin von nebenan, ein Mensch wie du und ich. Zumindest solange sie ihr Gedächtnis verloren hat und nicht lesen kann.

 

“Die Eisläuferin” bietet keine kurzweilige Unterhaltung, was man aufgrund des Klappentextes, des Titelbildes und auch des Programms von dtv Premium erwarten könnte. Es ist der Versuch sich auseinanderzusetzen mit dem “was wäre wenn”. Was wäre wenn Politiker statt ihr Image zu pflegen, Inhalte transportieren würden? Wahrhaftig auftreten würden, auch einmal ins Fettnäpfchen treten und vor allem eigene Überzeugungen und Werte glaubhaft vertreten würden? Im vorliegenden Roman führt es zu positiven Schlagzeilen und erhöhten Umfragewerten. Und zu manch einer philosophischen Betrachtung des Lebens. Weshalb man den Roman auch durchaus empfehlen kann. Aber nur mit dem Hinweis keine allzu leichte Kost zu erwarten. Auch wenn Pfirsiche in allen Variationen eine tragende Rolle spielen!