lebensgeschichten in zeiten unruhiger geschichte, was ist unausweichlich und was nicht

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blätterwald Avatar

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Der neue Roman von Bernhard Schlink hat mir gut gefallen, aber er hat auch seine Seiten, mit denen ich immer noch hadere. Es ist aber auch sehr viel Geschichte, welche er in drei Teile gegliedert hat.
Wir haben die deutsch-deutsche Teilung mit Republikflucht und allem, was an sich schon kein einfaches Thema ist. Das allerdings wird relativ gestrafft in Szene gesetzt und hätte für mich noch einiger Passagen bedurft. Ich finde, dass gerade das Leben von Birgit und Kaspar zu kurz gekommen ist. Sicher finde ich es gut, wenn mit wenigen Worten viel erklärt wird. Aber gerade die innere Zerrissenheit von Birgit hätte mehr Raum bekommen können.
Besser wird es nachher ab Teil 2, als sich Kaspar auf die Reise macht und seine Stieftochter samt Familie ausfindig macht. Hier prallen Welten aufeinander. Zum einen der gebildete und belesene Kaspar und auf der anderen Seite die nationalsozialistisch eingestellte Familie von Svenja, der Tochter Birgits. Das sorgt für einigen Zündstoff und teils unüberbrückbaren Gegensätze. Da sind die Stationen der Suche vorher von weitaus weniger Gegensätzen geprägt. Allerdings habe ich beim Lesen oft das Gefühl gehabt, dass der Autor nicht umhinkam, doch einige Klischees zu bedienen. Es geht schon los bei der Pflegefamilie von Svenja, den Weises und führt weiter bis zur Namensgebung von Svenjas Ehemann und dem Vater von Kaspars Enkelin. Bei Björn hat man heutzutage sofort seine Assoziationen.
Der dritte Teil handelt mehr oder weniger vom Reifeprozess Sigruns. Es klingt alles plausibel und wiederum nicht immer so unbedingt. Es sind schwierige Felder, welche der Autor beackert hat. Vieles hat mir sehr gefallen, es gab einige Personen, die sehr gut dargestellt wurden. Und einige blieben etwas flach. Oder zu sehr stereotyp. Kaspar trifft auf Sigrun in einem Alter, in welchem sie anfängt, ihre Welt auf ihre Art und Weise zu entdecken und erleben. Da sind einige Konflikte, die für Zündstoff sorgen.
Was ist Gut und was ist Böse. Wer hat Recht und Unrecht. Kann man Rechts sein und trotzdem den schönen Künsten zugewandt sein. Da ist so vieles, was zwischen den Zeilen zu lesen ist. Es ist nicht einfach, wenn derart verschiedene Welten aufeinandertreffen. Die innere Zerrissenheit, gerade bei Kaspar, wie er mit Sigrun umgehen soll, ist ein zentraler Punkt in dieser Geschichte. Alle anderen Figuren bleiben am Rand und haben mehr oder weniger unterstützende und erklärende Funktion.
Kann man die Zukunft gestalten, wenn man seine Vergangenheit nicht kennt? Wie steht es mit Verzeihen und Verstehen. Es sind viele Fragen, die dieses Buch aufgreift. Und manchmal sind Lösungen recht banal, aber im Leben diese Lösungen anzugehen, ist nicht einfach und die Umstände sind immer andere. Da prägt die deutsch-deutsche Geschichte Lebensläufe, und das nicht immer zum Besten.
Im Grunde genommen hätte dieses Buch noch um viele Seiten länger sein können. Es sind sehr komplexe Themen, die hier aufgegriffen wurden, Emotionen treffen auf Geschichte, die selten auf Gefühle Rücksicht nimmt. Und die Menschen tragen ihre Päckchen, aber ich frage mich, wieviel Geheimnisse hat man noch nach Jahrzehnten Beieinanderseins noch. Konnte Birgit mit Kaspar, ihrem Ehemann, für den sie die DDR verlassen hatte, wirklich nicht über ihre Tochter reden? Kann ein Mensch so lange mit seinem Geheimnis leben? Da erscheint ihr Freitod als fast logisch. Und ihre Alkoholsucht als unausweichlich.
Es ist ein schöner Roman, aber für mich nicht immer so rund, wie ich es gerne hätte. Schlink hat sich an ein großes Thema gewagt, aber manchmal ist weniger mehr. Nichtsdestotrotz lesenswert und gute Literatur.