Aggie, du bist wunderbar!

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holzfrieden Avatar

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Die Frau, die allen davonrannte ist so ganz anders, als es das Titelbild vermuten lässt. Man vermutet ein heiteres, Buch, eine Geschichte, die unterhält und auf der Oberfläche dahin plätschert. Aber weit gefehlt: Diese Buch ist Zeitgeschichte, Entwicklungsroman, Familienchronik und die oft bittere Geschichte des Versuchs der Emanzipation einer Frau im Sport in den 1930ern. Die Geschichte ist durchaus unterhaltsam, nimmt sie einen doch mit durch ein ganzes Jahrhundert. Sie ist aber auch anstrengend, weil Snyder ständig Zeitebenen wechselt und der Leser sehr aufmerksam sein muss, da dieses immer völlig unvermittelt geschieht. Für mich macht diese Erzählweise das Besondere des Buches aus.

Aganetha Smart, Aggie genannt, ist 104 und lebt in einem Pflegeheim in Kanada.

"Wir sind unterwegs, aus dem miefigen Zimmer in den antiseptischen Flur.Die vertrauliche Stimme der Pflegerin (...). Sprich ruhig weiter. Solange ich nur auf dem Weg irgendwohin bin, auf Gummirädern dahinquietsche, weg von dem plärrenden Fernseher, dem gedämpften Raum, dem Pfeifen und Keckern, Rülpsen und Stöhnen." (S. 23)

Früher einmal holte sie eine Goldmedaille im 800-Meter-Lauf bei den Olympischen Spielen. Das Laufen bestimmt ihr Leben nach wie vor, ihre Gedanken kreisen um nichts anderes. Sie ist körperlich gebrechlich und spricht kaum, aber ihr Geist ist immer noch blitzgescheit. Aggie ist die letzte Überlebende einer sehr großen Familie, aber sie ist immer noch mit vielen der Verstorbenen gedanklich in Verbindung. Indem sie ihre Gedanken spazieren gehen lässt, lernt der Leser diese Familie kennen - mit all ihren Besonderheiten und Geheimnissen. So ganz nebenbei lernt man eine Menge über das Laufen und die Ungerechtigkeiten im Leistungssport der 1930er Jahre. Und ganz am Schluss kennt man dann auch Aggies großes Geheimnis und versteht vor diesem Hintergrund ihr gesamtes Leben so viel besser. Eigentlich müsste man nun das Buch noch einmal lesen.