Die Frau von Shearwater Island

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cellissima Avatar

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Shearwater Island ist eine kleine, karge Insel vor England. Hier gibt es keine Elektrizität und nur noch eine handvoll Bewohner - die meisten zog es auf das Festland; geboren worden oder gestorben ist hier schon lange niemand mehr.

Einer dieser Menschen von Shearwater Island ist Alice. Sie kehrte vor einigen Jahren wieder zu ihren Eltern auf die Insel zurück. Nach deren Tod led sie nun allein.
Sie liebt ihre Insel, doch zugleich leidet sie unter der Einsamkeit gerade in den Herbst- und Wintermonaten.
Folglich ist sie gleich Feuer und Flamme, als sie erfährt, dass der Schriftsteller Patrick Fox, der dringend Abstand vom lauten und stressigen London braucht und nach neuer Inspiration sucht, die kalte und dunkle Jahreszeit auf Shearwater Island verbringen möchte.
Alice bietet ihm eine Unterkunft in ihrem Haus an - entgegen der Wünsche der übrigen Inselbewohner, die es für keine gute Idee halten, einen Fremden auf der Insel überwintern zu lassen, und zudem auch persönliche Vorbehalte gegen Patrick zu haben scheinen ...

Zunächst läuft alles harmonisch - so harmonisch, dass Alice sich in diesen Mann verliebt und ihm blind vertraut.
Doch schon bald muss sie erkennen, dass er auch dunkle, unschöne Seiten hat. So trinkt er schon früh am Tag, ist unbeherrscht und fährt Alice an, verhält sich seltsam und verheimlicht offensichtlich etwas vor ihr.

Und dann begeht er einen schrecklichen Verrat, der Alices Leben komplett verändert und sie zur Außenseiterin macht.
Sie muss erkennen, dass sie sich grundlegend in Patrick getäuscht hat und die anderen Recht hatten: dass sie Patrick besser niemals die Erlaubnis gegeben hätten, nach Shearwater Island zu kommen ...

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Magali Robathan hat einen Roman geschrieben, der sich perfekt als Sommer- und Strandlektüre eignet, den man aber genauso gut im Herbst oder Winter lesen kann - dick eingekuschelt, wenn es draußen dunkel, kalt und stürmisch ist, mit einer wohligen Gänsehaut.

Die Geschichte ist gut erzählt und lässt sich flüssig und mühelos lesen.

Der Autorin ist es gelungen, die Abgeschiedenheit dieser Insel, ihre schroffe Schönheit, ihre Wetterextreme, die Stimmungen und Eigenheiten, ja, generell das Leben ihrer Bewohner, einzufangen. Ungefiltert und unabgeschwächt.
Schon nach wenigen Seiten sieht der Leser alles vor seinem inneren Auge, sieht das Meer, riecht und schmeckt die salzige Luft und hat das Gefühl, selbst ein Zimmer in Alices altem Farmhaus zu bewohnen und alles hautnah mitzuerleben.

Es ist eine Geschichte, die einerseits von der Schönheit dieser Insel, der Beschreibungen der Landschaft, andererseits aber gerade auch von den Bewohnern, von ihren Geschichten und ihren Leben und Lebenswegen, lebt.

Kaum eine diese Figuren hat ein einfaches Leben.
Das Leben auf Shearwater Island ist per se hart und entbehrungsreich, und darüber hinaus hat eigentlich jeder Bewohner schon Bekanntschaft mit dem Schicksal gemacht, Negatives erlebt, ein dramatisches Ereignis in seinem Leben hinter sich.

Die Ergründung dieser Lebensgeschichten ist für sich genommen schon spannend und berührend - verstärkt wird dies noch durch das Auftauchen des geheimnisvollen Schriftstellers.

Klatsch und Tratsch nahmen schon immer viel Raum ein auf dieser Insel, und dieser Patrick Fox schürt die Gerüchteküche natürlich enorm ...

Die Annäherung zwischen Alice und Patrick entwickelt sich relativ langsam, stufenweise, die Gefühle stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zu den restlichen Elementen der Geschichte.
Doch schon bald ist klar, dass Alice mehr gibt und fühlt als Patrick, man fragt sich, ob das wirklich gut enden kann, oder ob die restlichen Inselbewohner mit ihren Warnungen am Ende nicht doch Recht behalten werden ...

Von der ersten bis zur letzten Seite ist da diese düstere, mysteriöse Grundstimmung, die hervorragend zu dieser Insel, zu den Naturgewalten passt und mir persönlich sehr gut gefallen und einen großen Reiz dieser Geschichte ausgemacht hat.

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Fazit:

Ein Roman, der weitestgehend wunderschön, spannend und geheimnisvoll ist.
Nur ganz vereinzelt ist die Geschichte vielleicht ansatzweise mal etwas langatmig.
Insgesamt aber ein großes Lesevergnügen vor allem für den Sommer oder die dunkle Jahreszeit - 4,5 Sterne!