Großartig - wenn auch anders als erwartet

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mrsamy Avatar

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Eva Thorwald hat keinen leichten Start ins Leben. Ihre Mutter brennt kurz nach ihrer Geburt mit einem Weinsommelière durch und ihr Vater stirbt völlig überraschend zu Weihnachten im Treppenhaus. Eva – noch ein Baby – bekommt von diesem Trubel natürlich nichts mit. Sie wächst in dem Glauben auf der Bruder Jarl ihres Vaters und seine Frau Fiona seien ihre Eltern. Bereits als Teenager entwickelt sie ein ungeahntes Interesse am Kochen und dem eigenhändigen Züchten von Zutaten. Jahre später ist sie ein der berühmtesten und begnadetsten Köchinnen Amerikas. In den Genuss ihres Essens kommt man jedoch nur durch die Teilnahme an ihren Pop-up-Dinner, für das die Menschen extreme Preise und jahrelange Wartezeiten in Kauf nehmen.

J. Ryan Stradal hat mit „Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens“ einen außergewöhnlichen Roman geschrieben. Beim Lesen der Inhaltsangabe glaubt man, ein normales Buch vor sich zu haben, dass die Lebensgeschichte von Eva Thorwald in den Mittelpunkt rückt. Beim Lesen allerdings stellt sich schnell heraus, dass die Protagonistin sozusagen nur der grobe rote Faden ist, der dem Roman seine Richtung gibt. In nur einem Kapitel erlebt man die Geschehnisse aus Evas Sicht: man lernt sie als Chili züchtenden Teenager kennen, der in der Schule den Gehässigkeiten der anderen ausgesetzt ist. Eva wächst einem dabei schnell ans Herz: sie ist anders, unkonventionell und man hofft, dass sie ihren Weg im Leben gehen wird. Auf den gesamten restlichen Seiten des Buches streift man Evas Leben nur noch – jedoch in chronologischer Reihenfolge. So erfährt man zuerst die Geschichte ihrer Eltern, erlebt Eva als Teenager, lernt ihre Cousine kennen und den jungen Erwachsenen Will Prager, der sich in Eva verknallt sowie weitere Menschen, die mehr oder weniger enge Berührungspunkte mit der bald schon aufstrebenden Köchin haben. Die Charaktere sind dabei sehr gut ausgearbeitet, sodass sie jeweils ihre ganz eigene Persönlichkeit und Geschichte glaubhaft machen können. Man muss solch eine Art von Roman natürlich mögen – vor allem, wenn man eigentlich etwas andere erwartet. Lässt man sich aber darauf ein, so wird einem hier wunderbare Literatur geboten. Kunstvoll versteht es der Autor dem Leser immer wieder einen kurzen Blick auf Eva zu ermöglichen, denn natürlich möchte man wissen, wie es mit ihr weitergeht, ob sie glücklich wird und ihr Leben so verläuft, wie sie es sich erhofft hat. Im letzten Kapitel erreicht die Handlung ihren Höhepunkt und die einzelnen Fäden werden subtil miteinander verwoben. Großartig!