Synästhetische Überwältigung

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andreas_m Avatar

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Ein Jahr nach der niederländischen Ausgabe erscheint "De geuren van de kathedraal. De overweldigende 16de eeuw in Antwerpen" der Kunsthistorikerin Wendy Wauters auch in Deutschland. Der deutsche Titel verzichtet dabei leider auf die Übersetzung des "overweldigend" - dabei wäre "überwältigend" nun sicherlich nicht zu hoch gegriffen. Anhand eines Amsterdamer Hotspots des 16. Jh.s, der majestätischen Kathedrale Unserer Lieben Frau, versucht sich Wauters an einem Gesamtbild von Kirchenbesuchern, Klerikern, Büßern, Händlern und Hundeschlägern. Sie wertet zahlreiche unterschiedliche Quellen aus und legt einen spannenden Fokus auf das synästhetische Erleben, der es Lesern einfach, macht, in diese frühneuzeitliche Welt einzutauchen...

...und genau da liegt das Problem dieses Buches: Wauters stellt das Amsterdam des 16. Jh.s so dar, dass diese fremde Welt zu augenscheinlich und ungefiltert in die Gegenwart transportiert wird. Ihre Quellen liest sie ohne Einschränkung als Darstellung der Situation, was diesen nicht durchweg gerecht wird. Die fehlenden Fußnoten machen es außerdem nahezu unmöglich, ihre Urteile zu überprüfen, wenn man nicht bereits mit der Alltags- oder Festkultur 16. Jhs. vertraut ist.

Nicht missverstehen: "Die Gerüche der Kathedrale" ist ein wirklich gutes und gelungenes Buch. Man merkt ihm halt an, dass es die Umarbeitung einer Dissertation ist: Es ist ein "Zwitter" geworden, sehr akademisch für ein Lesepublikum, zu wenig akademisch für ein akademisches Publikum. Aber wer sich die Mühe machen möchte wird davon einen vergleichbaren Gewinn davontragen wie vom Roman "Der Name der Rose"!