Ich bin enttäuscht

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mrsamy Avatar

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Lila und Elena, die zwei Freundinnen aus dem Rione, sind zurück. Während Lila unter entwürdigenden Bedingungen in einer Wurstfabrik arbeitet, sich um ihren kleinen Sohn kümmert und mit Enzo ein bescheidenes Dasein führt, hat nun Elena das scheinbar große Los gezogen. Sie heiratet in die Gelehrtenfamilie der Airotas ein und zieht gemeinsam mit ihrem Mann Pietro, einem Professor an der Universität, nach Florenz. Ganze Welten trennen Lila und Elena, doch immer wieder suchen die beiden den Kontakt der jeweils anderen und während die Gesellschaft sich immer mehr im Wandel befindet, halten die beiden an ihrer Freundschaft über alle Differenzen hinweg fest.

„Die Geschichte der getrennten Wege“ ist der dritte Teil der neapolitanischen Sage von Elena Ferrante. Der Titel ist inhaltsgebend, wie bereits an dem obigen, kurzen Inhaltsabriss deutlich wird. Elena und Lila entfernen sich immer mehr voneinander und bald kommt zur räumlichen Distanz auch die soziale. Elena veröffentlicht ihren kleinen Roman, wird mit einem Schlag berühmt, verdient Geld und fiebert der anstehenden Hochzeit entgegen. Lila hat währenddessen alles verloren. Gemeinsam mit Enzo und ihrem Sohn lebt sie in einer heruntergekommenen Wohnung, schuftet den ganzen Tag in der Fabrik und abends lernt sie die Lektionen eines Fernstudiums. Doch mit der Zeit dreht sich das Verhältnis. Elena kommt nicht dazu, einen weiteren Roman zu schreiben. Sie wird schwanger und versinkt in der Bedeutungslosigkeit ihres neuen Daseins. Massiv gestört hat mich an dieser Entwicklung, dass in Ferrantes Saga anscheinend kein Mann etwas taugt und diese immer verantwortlich gemacht werden für das Scheitern sowie Irren und Wirren der Frau. Pietro unterdrückt Elena in ihrer Intelligenz, er vergräbt sich in seinem Fachbereich, lässt sie allein, redet wenig mit ihr und der Sex ist wenig fantasievoll, lässt Elena unbefriedigt zurück. Gewalt allerdings, wendet er – im Gegensatz zu den Männern aus dem Rione – nicht an. Allein Enzo scheint eine Ausnahme dieser schrecklichen Männergattung zu sein. Er liebt Lila aufrichtig und gemeinsam arbeiten sie sich aus ihrem Elend heraus, kehren schließlich in den Rione zurück und wieder wird, was Lila anfasst, zu Gold. Generell erfährt man nur wenig von Lila, auch wenn sie in Elenas Gedanken oft präsent ist. Zahlreich sind die Telefongespräche, extrem selten die Treffen. Lila wurde mir in diesem Buch extrem unsympathisch. Sie ist sicherlich ein etwas extremer Charakter, doch wie sie mit Elena umgeht und redet, hat nach meiner Ansicht fast nichts mehr mit Freundschaft zu tun und ist eher eine Form der Entwürdigung. Elena aber klammert an Lila, akzeptiert ihre Art und zieht aus dieser Freundschaft eine Energie, die mir völlig unerklärlich ist. Auch in diesem Band taucht wieder Nino auf. Ich war genervt. Nino, der sich scheinbar durch die ganze Universität vögelt und dabei ab und an Kinder hinterlässt. Elena ist noch immer schwer verliebt, noch immer bereit, für ihn alles stehen und liegen zu lassen. Auch das eine Entwürdigung von ihr, eine die sie sich allerdings selbst zufügt, da sie sich nicht aus der emotionalen Abhängigkeit von Nino befreien kann. Durchsetzt ist die Handlung immer wieder von den Unruhen und Turbulenzen der späten 60er und 70er Jahre. Dabei kann es sicherlich nicht schaden, sich das ein oder andere Hintergrundwissen zur Politik Italiens anzulesen, um die in Ferrantes Roman geschilderten Ereignisse besser einordnen zu können. Der Schreibstil natürlich wieder großartig, die Handlung aber lässt mich unzufrieden zurück. Ich kann nicht verhehlen, dass ich mehr erwartet hätte, vor allem in Bezug auf die Vorhersehbarkeit.