Die Herzen der Männer

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wortknaeuel Avatar

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Um es gleich vorweg zu nehmen: „Die Herzen der Männer“ ist kein Männer-Versteher-Buch, kein Wegweiser in die maskuline Gefühlswelt und keine Gebrauchsanweisung zum Verständnis der männlichen Psyche. „Die Herzen der Männer“ ist vielleicht am ehesten ein Erklärungsversuch, warum der amerikanische Mann so ist wie er ist. Laut dem Autor Nickolas Butler ist „Die Herzen der Männer“ ein Buch über ungleiche Freundschaft und Loyalität, Liebe und Liebeskummer, Ehe und Scheidung. Es geht darum, sich einem Moralkodex zu verschreiben. Und es geht um Pfadfinder, Baseball und unseren immer mehr verloren gehenden Bezug zur Natur.

In drei großen Teilen und über mehrere Generationen beschreibt Butler die Entwicklung vom Jungen zum Mann. Dabei machen wir große Zeitsprünge und wechseln mehrmals die Perspektive, angefangen im Sommer 1962 beim 13-jährigen Pfadfinder Nelson, der nicht versteht, warum er von allen anderen Jungen im Pfadfinderlager ausgegrenzt und gemobbt wird, zudem unter seinem gewalttätigen Vater leidet und umso mehr zum Pfadfinderleiter und Kriegsveteranen Wilbur aufsieht, der mit seiner rechtschaffenen Art sein größtes Vorbild ist. Der einzige Junge, der wenigstens etwas zu Nelson steht, ist Jonathan, den wir im zweiten Teil, im Jahr 1996, plötzlich als zynischen Erwachsenen kennen lernen, der seine Frau betrügt und seinen 16-jähriger Sohn Travis mit einem Besuch im Stripclub davon überzeugen will, dass dessen Vorstellung von Liebe nur ein naives Teenager-Gespinst ist. Travis wiederum schaut nun um so mehr zu Jonathans Freund Nelson auf, der - inzwischen selbst Kriegsveteran und Leiter des Pfadfinderlagers - so viel mehr Anstand und Moral ausstrahlt.

Der nächste Zeitsprung bringt uns ins Jahr 2019, unsere nahe Gegenwart mit Smartphones, Tablets und Wlan im Pfadfinderlager, in das Thomas, der 16-jährige Sohn des mittlerweile verstorbenen Travis, widerwillig seine Mutter Rachel begleitet. Diesen dritten Teil erleben wir aus ihrer Perspektive - ihre Erinnerung an den moralisch ungewöhnlich starken Travis, der den Krieg in Afghanistan überlebte um dann einen absolut sinnlosen Tod im eigenen Land zu finden. Sie bedauert die verloren gegangene Naturnähe der Pfadfinder und erlebt als einzige Frau im Pfadfinderlager unter den anderen Vätern, frauenfeindlichen Trump-Wähler-Typen, eine ganz eigene Art des Mobbing. Ihr Trauma bringt ihren gleichgültigen Sohn Thomas erst dazu, selbst zum Helden zu reifen, mit Hilfe des alternden Lagerleiters Nelson, der beschlossen hat, dass dies sein letzter Sommer im Pfadfinderlager sein soll.

Es ist auffallend und erschreckend, was für ein negatives Männerbild Nickolas Butler in diesem Buch zeichnet, angefangen mit den gewalttätigen Vätern der 60er Jahre, die ihren Lebensfrust an Frau und Kindern abreagieren, und die ihr Bild davon, wie ein Mann zu sein hat - stark und Herr über seine Gefühle - ihren Söhnen aufzwingen wollen. Auch in den 90ern zeichnet er mit Jonathan keinen glücklichen Mann, sondern jemanden, dessen Lebenssinn auf dem Weg zum finanziell erfolgreichen Geschäftsmann auf der Strecke geblieben ist und der wiederum versucht, seinem Sohn seine zynische Weltsicht aufzuzwingen. Möglicherweise bewahrt nur der frühe Tod Travis davor, seine moralische Standhaftigkeit zu verlieren. Dafür sind seine Altersgenossen, die verdummten frauenfeindlichen Väter, mit denen Rachel sich auseinander setzen muss, ein erschreckendes Abbild des modernen amerikanischen Mannes, wie Trump sie propagiert.

Angesichts dieser zweifelhaften Vorbilder sehen die Jungen (zumindest Nelson und Travis) zu den sogenannten Kriegshelden auf, doch sind die wirklich glücklich? Auch wenn wir nur wenig Einblick in die Innenwelt von Wilbur und dem älteren Nelson bekommen, wird deutlich, dass sie beinahe an ihren Erlebnissen gebrochene Männer sind, deren Stärke darin besteht, sich bei allem Leid fest an ihren Moralkodex zu klammern.

Wenn es eine Lehre aus den „Herzen der Männer“ zu ziehen gibt, dann vielleicht die um die Wichtigkeit von Werten im Leben eines Menschen.