Die Illusion des Getrenntseins

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Simon van Booy ist nicht nur Autor zweier Kurzgeschichtensammlungen und Romanen, sondern auch Verfasser von philosophischen Büchern. Dies merkt man bei der Lektüre von "Die Illusion des Getrenntseins" sehr deutlich. Es ist schon fast ein philosophischer Thesenroman, der den Gedanken, dass alles Sein auf Erden irgendwie miteinander verbunden ist, jeder Mensch durch eine Linie mit nicht nur seinen Zeitgenossen, sondern auch den vielen Generationen vor ihm verknüpft, jedes Leben für unzählige andere Leben von Bedeutung ist. Um diesen philosophischen Gedanken zu verdeutlichen schafft Van Booy eine Handvoll Charaktere und webt aus ihren Schicksalen einen Teppich. Dass dabei kein wirklich realitätsgesättigter, stringenter Roman resultiert, zumal der Autor sich dafür auch nur 200 Seiten Zeit nimmt, liegt eigentlich auf der Hand. Aber darum geht es ihm auch nicht. Er tupft vielmehr einzelne Leben hin, Verbindungen und Hintergründe werden angedeutet, dem Leser als Möglichkeit dargeboten. Oft wird der Zufall arg bemüht, damit die Geschichten ineinander greifen, aber am Ende passen die Puzzleteilchen und es entsteht ein rundes Bild. Es sind wunderbar gezeichnete Charaktere mit einem reichen Innenleben, jeder trägt einen eigenartigen inneren Schmerz. Da ist Martin, der auf seine alten Tage nicht nur als Hausmeister, sondern auch als Halt und Trost in einem Altenheim in Los Angeles arbeitet. Gegen Kriegsende wurde er als Baby unter rätselhaften Umständen seinen späteren Adoptiveltern in die Arme gedrückt. Mr. Hugo, der hochbetagt in eben dieses Altenheim gelangt, nach langen Jahren in Frankreich und England, als deutscher Soldat versprengt, später grauenhaft verletzt und entstellt und von den Dämonen der Vergangenheit verfolgt; der erfolgreiche Regisseur Danny, dem dieser Mr. Hugo eine Art Ersatzopa war; die blinde Amelia, die im MOMA eine Ausstellung mit alten Kriegsfotografien vorbereitet und schließlich immer wieder deren Großvater John, der 1944 mit seinem Flugzeug über Frankreich abgeschossen wurde, dem es gelang, sich zu den Alliierten durchzuschlagen. Zwischen ihnen und ihren unterschiedlichen Zeiten, vorwiegend den Jahren 2005-2010 und 1944 wird immer wieder gewechselt und es wird immer deutlicher wie sehr ihre Schicksale miteinander verbunden sind, auch wenn sie sich nicht (er)kennen. Van Booy hat damit ein komplexes, bewegendes Buch geschaffen. Im Ton ist es elegisch, meist sehr kurze Sätze erinnern sehr an Poesie. Wichtig sind dem Autor dabei Momente voll Bedeutung, die Schönheit des Ausdrucks. Das gelingt ihm an vielen Stellen, manchmal, besonders im ersten Teil kommt es etwas dicke. Wenn er z.B. schreibt: "Der Teppich der Cafeteria, auf dem der alte Mann gestorben ist, war einst niedriger Wald. Dahinter ein träger Fluss, an dem Löwen gierig tranken, so dass Wasser von ihren Mäulern tropfte". Auch wenn auf einer einzigen Seite "Die Nacht hält meinen Körper in ihrem Mund", "In dieser zweiten Dunkelheit stürzt sich mein Verlangen auf eine Welt geschlossener Augen" und "Dann brechen sich Träume an den Felsen des Morgens" zu bewältigen sind. Zum Glück verliert sich diese Überambitioniertheit im Fortgang der Geschichte, besonders die Passagen von Großvater John und Mr. Hugo lesen sich sehr spannend. Eine tiefe Wärme, Melancholie und Menschenfreundlichkeit erfüllt das Buch und auch ein Trost, der eben aus der philosophischen These entsteht, dass alles Sein auf die ein oder andere Weise verbunden ist. Ein tröstlicher Gedanke ganz jenseits jedes esoterischen Kitsches. "... so wie wir eines Tages von einem letzten Lufthauch besiegt werden, und dann ist nichts mehr - nichts außer dem Duft unseres Lebens in der Welt, wie an einer Hand, die einst Blumen hielt."