Aller guten Dinge sind drei?

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
botte05 Avatar

Von

Gideon Lewis-Kraus verabredet sich in bierseliger Stimmung mit seinem Freund Tom zum gemeinsamen Pilgern auf dem Jakobsweg, Spanien. Tom verbindet mit der Pilgerreise die Idee, seine letzte Rastlosigkeit zu eliminieren. Gideon geht eigentlich nur mit, weil er keine Termine hat und sein derzeitiges Leben in Berlin ihn nicht mehr befriedigt. Beide eint das Ziel, über diesen Weg ein Buch zu schreiben. Auf dem Camino lernen sie viele Menschen kennen, manche näher, manche nur im Vorbeigehen und die Gründe für das Begehen dieses Pilgerweges sind so vielfältig, wie die Wanderer.

Lewis-Kraus möchte ein Buch über das Wesen des Pilgerns schreiben, so dass er zu einer weiteren Reise aufbricht, um auf Shikoku, Japan, die 88 Tempel zu erpilgern. Hier begegnet er weitaus weniger Pilgern und muss sich mehr mit sich selbst auseinandersetzen. Quasi nach dem Motto „aller guten Dinge sind drei“ reist er schließlich mit seinem Bruder und seinem Vater nach Uman, Ukraine, um an der jährlichen jüdischen Wallfahrt teilzunehmen.

Nach dem Lesen dieses Buches, welches mich auf halber Strecke verloren hat, frage ich mich, warum Gideon Lewis-Kraus dieses Buch geschrieben haben mag, warum ich überhaupt pilgern sollte und was ich von diesem Buch mitnehmen könnte.

Mein Eindruck ist, dass es Lewis-Kraus in erster Linie darum geht, das Verhältnis zu seinem Vater zu thematisieren und die erlittenen Verletzungen seiner Vergangenheit aufzuarbeiten. In seinem scheinbar grenzenlos freien Dasein auf der Suche nach ständiger Ablenkung und wenig Sinnvollem hofft er auf eine Bitte um Vergebung seitens des Vaters, die aber so nie erfolgen wird. Das Pilgern scheint ihn zu der Erkenntnis gebracht zu haben, dass er selbst vergeben muss, um die Vergangenheit in Frieden ruhen lassen zu können.

Pilgern scheint derzeit „voll im Trend zu liegen“ und die Gründe reichen von der Suche nach spiritueller Erfahrung, über die Suche nach Ruhe und Abstand, um Lebensentscheidungen fällen zu können, bis hin zu einer speziellen Form der Diät. Kraus-Lewis zitiert viele Autoren, die über das Pilgern selbst und / oder das Drumherum geschrieben haben, verflucht sämtliche Pilgerhandbücher (genau genommen die beiden Pilger-Handbuch-Autoren Brierley und Moreton), lässt mich jedoch nicht an seinen eigenen Emotionen und Erfahrungen auf diesen beiden langen Pilgerwegen (die jüdische Wallfahrt findet eher stationär statt), die über geschundene Füße oder extreme Gerüche hinaus gehen, teilhaben. Dies steht im krassen Gegensatz zum letzten Teil des Buches, in welchem der Autor sehr emotional wird und den Leser sehr eng teilhaben lässt. Ich gewinne den Eindruck, der Autor hätte sein Pilgern oder - salopp formuliert - Herumgelatsche auch im Stadtpark absolvieren können. Dem stünde nur entgegen, dass dies nicht anstrengend genug und somit keinerlei Herausforderung wäre.

Dieses Buch hat meine Erwartungen nicht erfüllt. Auch wenn der Titel „Die irgendwie richtige Richtung“ ein alternatives Buch über das Pilgern erwarten lässt, hatte ich mir doch genau ein Buch über das Pilgern vorgestellt. Lewis-Kraus „reißt“ die einzelnen Stationen der Pilgerreisen „runter“, nach dem Motto „abgehakt“. Er praktiziert weder die „empfohlenen Riten“, noch findet er für sich selbst ein Procedere, welches m. E. ein Pilgern bedingen würde. Letztendlich erscheint mir dies eher „nur“ ein Buch zur Vergangenheitsbewältigung zu sein.

Trotzdem ist „Die irgendwie richtige Richtung“ noch lange kein schlechtes Buch. Lewis-Kraus unterwirft sich selbst dem harten Pilgeralltag, hat ausführliche Recherchen hinsichtlich der jeweiligen Wallfahrt durchgeführt und steht zu seinem eigenen situationsbedingten Unvermögen. Ihn auf dieser Reise zu begleiten, kann den eigenen Horizont erweitern und die eigene Sicht der Dinge verändern. Mir standen beim Lesen meine eigenen Erwartungen, welche ich aufgrund der Leseprobe entwickelt hatte, zu sehr im Weg, um unvoreingenommen einfach dieses Buch lesen, annehmen und genießen zu können. Somit habe ich mir selbst das Lesevergnügen ein wenig vergällt.

Rezension: Gideon Lewis-Kraus, Die irgendwie richtige Richtung, Suhrkamp Verlag, Sachbuch, 384 Seiten, 16,99 €, Erscheinungsdatum: 16.09.2013