Eine Pilgerreise

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dany_87 Avatar

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Gideo Lewis-Kraus beschreibt in seinem ersten Buch auf sehr authentischer Weise, wie ein junger orientierungsloser Mann versucht, die familiären unterdrückten Probleme und seine eigene Rastlosigkeit durch Pilgerreisen zu verarbeiten und seinem Leben eine richtige Richtung zu geben.

Das Buch umfasst 378 Seiten und ist im Suhrkamp-Verlag erschienen. Es handelt sich bei der Ausgabe um ein Paperback; das Cover ist in weiß und rot gehalten und zeigt einen Mann von hinten, der mit typischem Wandergepäck und dem im Buch oft beschriebenem Stirnband auf einer Straße mit Stieren durch eine Stadt läuft. Das Innencover zeigt eine grobe Wanderkarte vom Jakobsweg und auf der Innenrückseite ist die Insel Shikoku mit den 88 Tempeln aufgezeichnet.

Gideon ist ein junger Schriftsteller, der noch nicht so recht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll und worüber er schreiben will. Er flieht von San Francisco nach Berlin, weil er sich von der neuen Stadt mehr Freiraum und Spaß erhofft und gleichzeitig glaubt, dass dieses Leben ihn dazu bringt endlich richtig mit dem Schreiben anzufangen. Doch er lässt sich treiben, geht auf Partys und lernt viele junge Leute kennen, die ebenfalls rastlos und planlos das Partyleben von Berlin genießen. Dann trifft er sich mit seinem Freund Tom in Tallin und während einem Wochenende im Vollrausch beschließen die beiden gemeinsam den Jakobsweg zu gehen.
In der ersten Buchhälfte geht es hauptsächlich um die Erfahrungen, die Gideon und Tom auf dem Jakobsweg machen. Es werden mehr oder weniger tiefsinnige Gespräche geführt, die beiden lernen viele neue Leute kennen, die aus den unterschiedlichsten Gründen den Jakobsweg gehen und natürlich kommt auch die Beschreibung der Natur und der Unterkünfte nicht zu kurz, genauso wie die Leiden, Schmerzen und Streitigkeiten, welche die beiden den ganzen Weg über begleiten.

Nach der Pilgerreise erhofft sich Gideon, die gemachten Erfahrungen auch in seinen Alltag in Berlin integrieren zu können, doch schnell verfällt er in den alten Trott und geht wieder auf diverse Veranstaltungen und lässt sich treiben. Der Gedanke von Pilgerreisen lässt ihn jedoch nicht los. Er will wieder pilgern und wieder das Gefühl haben, welches sich auf dem Jakobsweg eingestellt hat. So fasst er den Entschluss, ein Buch über das Pilgern zu schreiben und es anderen Leuten näher zu bringen. Bei seinen Recherchen stößt er auf die japanische Insel Shikoku. Bei dieser Pilgerreise umrundet man einmal die gesamte Insel und besucht dabei 88 Tempel. Dieses Mal macht sich Gideon jedoch allein auf die große Reise und lernt so mit sich und der Einsamkeit klar zu kommen.

In dem dritten Hauptabschnitt geht es dann darum, wie Gideon mit seinem Bruder Micah und seinem Vater eine Pilgerreise nach Uman unternimmt. Sie wollen an Rosch Haschana mit tausend anderen Juden zum Grab von Rabbi Nachman pilgern. Auf dieser letzten Pilgerreise geht es vor allem um die Aufarbeitung der familären Konflikte. Gideons Vater, ein ehemaliger Rabbi, hatte vor Jahren die Familie verlassen um seiner lang unterdrückten homosexuellen Neigung nachzugehen und mit seinem Freund Brett ein neues Leben anzufangen.
Am Ende dieser Reise kommt es schließlich zur Aussöhnung zwischen Vater und Sohn, wodurch ein Großteil von Gideons Rastlosigkeit endlich "geheilt" wird.

Insgesamt muss ich sagen, dass das Buch sehr durchwachsen war. Der Teil über die Erfahrungen und Erlebnisse auf dem Camino haben mir sehr gut gefallen. Die Geschichten waren unterhaltsam und authentisch. Man konnte sich gut in Tom und Gideon hineinversetzen und deren Gedanken nachvollziehen. Man hat mit ihnen gelitten und sich über Erfolgserlebnisse gefreut.
Der Anfangsteil in Berlin hingegen war sehr verwirrend und mit zu vielen Gedankensprüngen, Personen und (Neben-)Handlungen bestückt.
Der Teil über Shikoku war ebenfalls sehr interessant und mitreißend; allerdings fand ich hier den Schlussteil zu kurz gefasst. Man hatte das Gefühl, als wollte der Autor plötzlich schnell zu einem Ende kommen, da im Vorfeld alle möglichen Details beschrieben wurden und dann plötzlich die letzten Tempel und die Feier, aus die sich Gideon seitenlang so gefreut hatte plötzlich mit einem kurzen Absatz abgehandelt wurden.
Der Teil über die dritte Pilgerreise hingegen hat mir gar nicht gefallen, da dieser viel zu langatmig war und es eigentlich auch gar nicht mehr um die Reise, sondern nur noch um die familiäre Beziehung ging.