Zwei Welten

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sikal Avatar

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Mélanie ist ein Bewunderer der Reality-Shows, Formaten wie Big Brother ist sie bereits seit frühester Jugend zugetan. Nichts erträumt sie sich mehr als berühmt und bewundert zu sein. Als sie plötzlich Social Media für sich entdeckt, scheint ihr Traum wahr zu werden – sie kreiert einen YouTube-Kanal und kann sich bald über den sich einstellenden Erfolg freuen. Doch nicht Mélanie ist der eigentliche Star, sondern ihre beiden Kinder Sammy und Kimmy, die sie mehrere Stunden am Tag filmt, mit ihnen Challenges veranstaltet und die beiden mit Spielsachen von Werbeträgern überhäuft. Irgendwann erkennen die beiden Kinder, dass das Leben ihrer Familie nicht der Realität entspricht und beginnen sich aufzulehnen. Als die kleine Kimmy plötzlich verschwindet, scheint sich das Blatt zu wenden und man hofft, Mélanie erkennt endlich, was sie ihren Kindern antut.

Die junge Polizistin Clara hat mit Social Media nichts am Hut und lebt sehr zurückgezogen. Ursprünglich mit Eltern konfrontiert, die sie bereits als Baby zu Demos mitschleppten, versucht Clara ihr Leben abseits von allem Trubel zu gestalten. Als Clara bei den Ermittlungen über die Entführung der kleinen Kimmy eingesetzt wird, um die Videos der Familie zu analysieren und eventuell einen Hinweis zu finden, wird sie erstmals mit einer Welt konfrontiert, die ihrer eigenen nicht ferner sein könnte – Menschen, die für Likes und viel Geld ihre Privatsphäre aufgeben.

Die Autorin Delphine de Vigan hat mit dieser Gesellschaftskritik wieder voll ins Schwarze getroffen. Die Gegenpole, einerseits die Influencerin, die unbedingt im Rampenlicht stehen will und Clara, der nichts ferner ist, machen die Geschichte spannend. Um die Hintergründe aufzuzeigen, geht die Autorin weit in die Kindheit der Protagonistinnen zurück. So scheint es, kann man auch ihren weiteren Weg besser nachvollziehen. Wobei mir der Weg, den Mélanie gewählt hat, fremd ist und ich keine Sekunde verstehen kann, wie man die eigenen Kinder als „Ware“ vermarktet. Doch wenn man sich vor Augen hält wieviel Geld man damit scheffeln kann, ist es kein Wunder, dass sich viele diesem Sog nicht entziehen können. Doch um welchen Preis? Dies wird leider oft erst zu spät bemerkt (oder auch gar nicht).

Tragisch finde ich die Figur von Mélanie, die sich nur über Likes definiert und sich geliebt fühlt, wenn sie von ihren Followern Zuspruch erhält. Sie versucht mit aller Macht an dieser „Liebe“ festzuhalten und erkennt in ihrer Blase nicht, dass es auch ein Leben außerhalb geben könnte.

Spannend finde ich auch den Schritt in die Zukunft, als die beiden Kinder als junge Erwachsene mit unterschiedlichen Personen noch einmal ihre Kindheit aufrollen. Hier bekommt man einen guten Einblick wie sich dieser exzessive Ausflug in die virtuelle Welt auswirken kann.

Der Schreibstil der Autorin ist nüchtern, distanziert und trotzdem ist es faszinierend, wie sie mit wenigen Worten auf einen Punkt trifft. Das hat mich auch schon bei anderen Büchern von ihr überzeugt.

Die Auflösung der Entführung fand ich jetzt nicht so überzeugend, hier hätte es mehr Potential gegeben.

Dieser Roman wirft einen Blick in die Welt der Sozialen Medien und zeigt auf wie wenig Kinder hier geschützt sind – denn wenn die Eltern ihre Kinder nicht schützen, wer sollte es sonst tun? Eine Geschichte, die nachdenklich st