Rattenjagd

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theresia626 Avatar

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Jahre sind vergangen, seit Harry Hole das letzte Mal norwegischen Boden betreten hat. Jetzt landet er aus Hongkong kommend auf dem Osloer Flughafen, mit ihm 8 Kilo Heroin an Bord, die der Kapitän schmuggelte, doch das erfährt Harry erst viel später. Er bezieht seine alte Absteige, das Leon. Auf dem Weg dorthin stellt er fest, daß Oslo sich nicht positiv verändert hat. Die Junkies haben nur andere Plätze bezogen, weil sie neuen Bauten weichen mußten. Ansonsten ist alles so verkommen wie vor Jahren. „Alles war neu. Nichts war anders.“ Einer seiner wenigen Freunde hatte Harry informiert, daß Oleg, der Sohn seiner großen Liebe Rakel, unter Mordverdacht steht. Er soll den Junkie Gusto Hannsen erschossen haben. Oleg kann sich aber, da er Violin – eine neue Modedroge – genommen hatte und high war, an nichts mehr erinnern. Harry traut Oleg keinen Mord zu und versucht die schon geschlossene Akte, den einzig aufgeklärten Mord, auf seine Art zu öffnen und zu ermitteln. Dabei  gerät er selbst in die Schußlinie, der Auftrag Harry Hole nach seiner Ankunft umzubringen, wurde schon lange erteilt.

Jo Nesbos Kriminalroman „Die Larve“ ist einfach wunderbar zu lesen und erst wenn man die letzte Seite gelesen hat, haben sich alle Erzählstränge miteinander verbunden, dies jedoch zu einem ungeahnten Ende. Er ist ausgesprochen spannend, auch wenn es anfänglich etwas schwierig ist, dem schnellen Tempo zu folgen. Weiterhin fragt man sich, was es mit der Ratte im Prolog auf sich haben mag, die Lösung kommt aber schnell. Der ganze Roman ist von Ratten nur so durchzogen, allerdings nicht von Vierbeinigen. Es geht im Wesentlichen in einem unerbittlichen Kampf um die Vormachtstellung im Drogenmilieu, angefangen bei den kleinen Dealern, um Geld- und Machtgier und auch Korruption, die vor der Polizei „Es braucht schon einen Polizisten, um einen Polizisten hinters Licht zu führen.“ (S. 296) als auch vor den höchsten Regierungskreisen keinen Halt macht. Jo Nesbo zeichnet Norwegens Hauptstadt in sehr düsteren Farben, fühlt man sich als Leser doch nur von Junkies, Dealern und diversen Drogen umgeben. Auf der anderen Seite fasziniert er den Leser mit seiner Wortgewalt und bildhaften Sprache. Kein Wort ist hier zu viel, keine Seite hätte gekürzt werden dürfen. Ein sehr ausdrucksstarker Autor mit sehr guten Metaphern (u.a. S. 195) und einem sehr guten Übersetzer. Das Cover gefällt mir ausgesprochen gut, der Titel des Romans ist jedoch unglücklich gewählt. Hier wäre die Originalübersetzung „Gespenster“ passender gewesen.

Denn Harry Hole wird verfolgt von Gespenstern, Gespenstern aus seinen früheren Fällen. Er hat sich in den letzten drei Jahren verändert, ist clean geworden und durchtrainiert. Jetzt kämpft er wieder als einsamer Wolf, ein Polizist ohne Polizeimarke und zieht seine Kreise durch die Unterwelt von Oslo. Viele Freunde sind ihm nicht geblieben, aber die wenigen, die er noch hat, auf die kann er bauen, ganz besonderes auf Beate Lonn. Man wünscht Harry Hole, daß er mit Rakel das Glück findet, nach dem er seit Jahren sucht. „Rakel. Die Liebe seines Lebens. So einfach war das. Und doch so schwer.“ (S. 53) Daß Harry Hole manchmal übernatürliche Kräfte besitzt, ist verzeihlich. Jeder Roman braucht seinen Helden und Jo Nesbo hat seiner Figur Harry Hole ein Denkmal gesetzt; ihn zur Kultfigur gemacht. Gelungen ist das vergleichsweise eigentlich nur noch seinem schwedischen Kollegen Stieg Larsson mit Lisbeth Salander. 

Jo Nesbos Krimis haben einen hohen Suchtfaktor, dem ich nur zu gerne erlegen bin und würden die inzwischen vorliegenden neun Kriminalromane verfilmt, wären sie bestimmt Straßenfeger. Lesenswert vom Anfang bis zum Ende, für mich der beste Krimi in diesem Herbst.